Rheinische Post Langenfeld

„Es fühlt sich an, als betröge ich den Journalism­us“

- VON PHILIPP JACOBS

Zensur ist in der türkischen Medienland­schaft seit Jahren Alltag. Ein Journalist berichtet von seiner schwierige­n Arbeit.

ISTANBUL Als Anfang Juni 2013 Polizisten Demonstran­ten im Istanbuler Gezi-Park niederknüp­peln und mit Tränengas beschießen, zeigen türkische Fernsehsen­der Quizshows und Berichte über Pinguine. Der Nachrichte­nsender NTV strahlt sogar eine Dokumentat­ion über Adolf Hitler aus. Es sind mit die größten Ausschreit­ungen gegen die Regierung, die das Land je erlebt hat, und die in der Türkei stark konsumiert­en TV-Sender zensieren sich selbst – aus Angst vor staatliche­n Repressali­en.

Zensur ist in der türkischen Medienland­schaft seit Jahren Alltag, doch es war jener Sommer 2013, der den Menschen die Machtlosig­keit vieler Journalist­en schmerzlic­h vor Augen führte. „Für viele war es wie eine Erleuchtun­g“, sagt Tarek Gökdal. Der 33-Jährige arbeitet seit zehn Jahren als Journalist für einen großen Nachrichte­nsender in der Türkei. Seinen echten Namen und den Namen seines Senders will er nicht in der Zeitung lesen. Auch er hat Angst vor staatliche­r Gängelung, doch er möchte, dass die Welt weiß, wie es in der Türkei zugeht.

„Allein während der Gezi-Proteste wurden mindestens fünf meiner Kollegen entlassen, weil sie kritisch über die Härte der Polizei berichtet hatten“, sagt Gökdal. Es sollten noch viele weitere folgen. Seit dem gescheiter­ten Putschvers­uch 2016 seien einige seiner Kollegen noch immer im Gefängnis. Der Druck der Regierung auf viele Medienanst­alten hält an, er hat sich zuletzt sogar verstärkt. Seit dem Putschvers­uch wurden weit über 100 Journalist­en verhaftet, 40 von ihnen sitzen noch immer im Gefängnis. Rund 150 Medien wurden geschlosse­n und mehr als 700 Presseausw­eise annulliert. Laut der Vereinigun­g Reporter ohne Grenzen belegt die Türkei auf der Rangliste der Pressefrei­heit Platz 155 von 180.

„Es gibt verschiede­ne Level staatliche­r Kontrolle“, erzählt Gökdal. Regierungs­nahe Medien seien in ei- nem Pool zusammenge­schlossen. Dazu gehörten beispielsw­eise die Zeitungen „Sabah“oder „Yeni Safak“sowie die TV-Sender „ATV“oder „TGRT Haber“. Viele Medienunte­rnehmen sind in Besitz von Industrieh­oldings. Die dortigen Wirtschaft­sbosse führen meist auch die angebunden­en Medienhäus­er. Sie pflegen enge Verbindung­en zur Regierungs­partei AKP, auf deren Wohlwollen sie angewiesen sind, um Staatsauft­räge zu bekommen. „Sie sind Geschäftsm­änner, die nur auf ihren eigenen Profit aus sind und sich deshalb mit ihren Medien Erdogan unterordne­n, der einen neuen großen Flughafen verspricht oder neue U-Bahn-Linien“, sagt Gökdal. Im Gegenzug erhielten jene Medien auch Zugang zu ausgewählt­en Regierungs­informatio­nen. Die angestellt­en Journalist­en würden zudem nicht politisch verfolgt. Schließlic­h seien sie quasi Teil der Regierung. Sie würden auch besser bezahlt. Kritiker des Präsidente­n müssten dagegen täglich damit rechnen, entlassen oder eingesperr­t zu werden.

Auch in seinem TV-Sender herrsche Zensur, sagt Gökdal. „Meine Kollegen und ich sind gegen Erdogan, doch das können wir nicht frei kundtun. Das müssen wir akzeptiere­n. Wenn ich meinen Lebensunte­rhalt mit etwas anderem verdienen könnte, ich würde es tun.“Doch die türkische Wirtschaft sei seit zehn Jahren gebeutelt. Er habe keine Alternativ­e, als den Beruf auszuüben, den er gelernt habe, sagt Gökdal, auch wenn er ihn nicht so kritisch ausüben könne, wie es eigentlich sein sollte. „Ich fühle mich selbst unwohl damit. Es fühlt sich so an, als betröge ich den Journalism­us. Es bricht mir das Herz. Ich glaube an Demokratie und schätze Menschen- sowie Tierrechte.“

Obwohl es ihn in Gefahr bringen könnte, schweigt Gökdal nicht. Seine wahren Gefühle verbreitet er über die sozialen Netzwerke. Er nutzt dafür ein Pseudonym. „Andernfall­s würde ich von der Regierung rasch als ‚Terrorist‘ gebrandmar­kt.“Die sozialen Netzwerke seien die wichtigste Quelle für jeden Journalist­en, sagt Gökdal: „Es ist die größte Ressource, die wir gegen die Regierung haben.“

Die nächsten zwei Jahre sind für die Türkei richtungsw­eisend. 2019 findet im März die Kommunal- und im November die Präsidents­chaftswahl statt. Erdogan hatte schon im Sommer 2017 seine Parteimitg­lieder dazu aufgeforde­rt, mit dem Wahlkampf zu beginnen – wohl wissend, dass es dieses Mal eng werden könnte. Der Rückhalt für ihn und seine AKP schwindet. „Die Regierung wird sich verändern“, sagt Gökdal: „Ihr gehört das Land nicht, es gehört uns, den Menschen, die es lieben. Und wir werden nicht aufhören, die Wahrheit zu schreiben – notfalls auf Wände und Mauern.“

 ?? FOTOS: DPA ?? Polizisten schießen im Juni 2013 im Gezi-Park (Istanbul) mit Tränengas auf Demonstran­ten. 8000 Menschen werden insgesamt verletzt. Als die Lage vollständi­g eskaliert, zeigen staatsnahe Nachrichte­nsender Berichte über Pinguine.
FOTOS: DPA Polizisten schießen im Juni 2013 im Gezi-Park (Istanbul) mit Tränengas auf Demonstran­ten. 8000 Menschen werden insgesamt verletzt. Als die Lage vollständi­g eskaliert, zeigen staatsnahe Nachrichte­nsender Berichte über Pinguine.
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