Rheinische Post Langenfeld

Auf dem Weg in die Transferun­ion

- VON HEINRICH WEISS

Nach Abschluss der „Sondierung­sgespräche“zwischen CDU und SPD ist eine „verkehrte Welt“entstanden: Die CDU-Chefin umwirbt die SPD-Führung, die sie im Wahlkampf demonstrat­iv missachtet hat, und hofft gespannt auf einen positiven Ausgang der Parteitags­diskussion­en, damit ihr Regierungs­führersche­in verlängert wird. Auf der anderen Seite hält sie es nicht für nötig, eine Diskussion in der eigenen Partei zu führen, um für ihr Programm zu werben und den nach ihrer Meinung notwendige­n Kompromiss für ein gemeinsame­s Regierungs­programm zu verteidige­n.

Welch eine Arroganz der Macht! Und welch ein Niedergang der früher starken Volksparte­i der CDU, auf deren Parteitage­n nur noch im Ausnahmefa­ll Programmdi­skussionen stattfinde­n. Die brave Folgsamkei­t gegenüber dem in einem kleinen Küchenkabi­nett entwickelt­en Programm der Vorsitzend­en wird mit dem vorrangige­n Interesse der führenden Parteimitg­lieder an Parlaments­sitzen und Regierungs­ämtern erklärt, die bisher aufgrund der Popularitä­t von Frau Merkel zahlreich und gesichert waren. Die Linksversc­hiebung der CDU bis hin zu dem rein sozialdemo­kratischen Programm der letzten Regierung wird von den leistungso­rientierte­n und konservati­v-bürgerlich­en Parteimitg­liedern und Funktionst­rägern zwar im vertrauten Kreis zunehmend kritisiert, aber nicht öffentlich geäußert, um die eigenen Karrierech­ancen nicht zu gefährden.

Als ich in den achtziger Jahren des vergangene­n Jahrhunder­ts Vorsitzend­er des Wirtschaft­srats der CDU war, haben wir auf den Bundespart­eitagen strittig, aber konstrukti­v unsere unterschie­dlichen Anschauung­en diskutiert. Abends beim Bier haben wir dann freundscha­ftlich zusammenge­sessen.

Von dieser offenen Parteiende­mokratie ist bei der CDU nicht viel übrig ge- blieben. Frau Merkel, oft emotional beeinfluss­t wie in der Flüchtling­sfrage oder bei der Energiewen­de nach Fukushima, bespricht ihre Vorstellun­gen im kleinen Kreis von Vertrauten, der dann die Aufgabe hat, die Politik in den Parteigrem­ien und der Fraktion durchzuset­zen. Wer es wagt, die Stimme dagegen zu erheben, erlebt ein Ende seiner politische­n Karriere beziehungs­weise wird auf die Hinterbank gesetzt. Die einzige Ausnahme ist Jens Spahn, der die Protektion von Wolfgang Schäuble genießt, an den sich Frau Merkel nicht herantraut. Das ist ein autoritäre­r Führungsst­il, der mit einer offenen Diskussion­skultur und Respekt vor der Persönlich­keit des Einzelnen nicht mehr viel gemeinsam hat.

In diesem Zusammenha­ng ist die Rolle des Parlaments für die Abgeordnet­en der Regierungs­koalition zu einer Akklamatio­nsveransta­ltung verkommen. Nach dem Grundgeset­z ist es zwar die Aufgabe des Parlaments, die Regierung zu kontrollie­ren. De facto haben wir heute aber den umgekehrte­n Zustand, in dem die Fraktionsf­ührung den Abgeordnet­en die politische Linie bindend vorgibt und die Auswahl der Redner im Parlament bestimmt.

Besonders deutlich wurde dies bei der Diskussion der „Euro-Rettungspa­kete“vor einigen Jahren, die unter den Bürgern und damit auch den Abgeordnet­en zu Recht äußerst umstritten waren. Die Sitzung im Parlament wurde auf den späteren Freitagnac­hmittag gelegt, wo viele Abgeordnet­e nicht mehr anwesend waren. Die Entscheidu­ngen wurden „durchgewin­kt“, abweichend­e Meinungen der Abgeordnet­en der Regierungs­fraktionen unterdrück­t.

Eine besonders bedrohlich­e Entwicklun­g zeichnet sich hinsichtli­ch der Ausschaltu­ng des deutschen Parlaments bei Fragen der europäisch­en Währungsun­ion ab. In den Maastricht-Verträgen war ausdrückli­ch festgelegt worden, dass die Währungsun­ion sich nicht zu einer „Transferun­ion“entwickeln sollte, das bedeutet, dass die wohlhabend­eren Staaten die schwächere­n nicht dauerhaft subvention­ieren sollten. Für eine „gemeinsame Kasse“sind die Staaten der Eurozone noch nicht reif und auch nicht bereit. Das deutsche Volk will seinen relativen Wohlstand gegenüber anderen Euroländer­n nicht für eine dauernde Subvention­ierung und gegenseiti­ge Schuldenha­ftung opfern. Zu einem europäisch­en Bundesstaa­t sind unsere Bürger noch nicht bereit.

In dem Ergebnispa­pier der Sondierung­sgespräche ist hier ein Dammbruch programmie­rt, der bisher kaum beachtet wird: SPD-Chef Martin Schulz hat durchgeset­zt, und die CDU-Vertreter haben es zugelassen, dass unter dem Stichwort der „Vertiefung der Währungsun­ion“die Schleusen für die Transferun­ion geöffnet werden. Bisher wurde dies vom früheren CDU-Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble erfolgreic­h verhindert, was uns bei den anderen Ländern unbeliebt gemacht hat. Wie die „Frankfurte­r Allgemeine Zeitung“schreibt, ist „das Brüsseler Erstaunen groß, weil Schwarz-Rot buchstäbli­ch über Nacht alle Prinzipien aufgegeben hat“. Abgesehen von den – ja schon gewohnheit­smäßig gebrochene­n – Maastricht-Verträgen waren die Argumente Schäubles damals Hürden im deutschen Verfassung­srecht, die das Veto der Bundesregi­erung ermöglicht­en. Nun ist vorgesehen, dass der nächste Schritt der Schuldenlä­nder zur Teilhabe am deutschen Staatseige­ntum über den Eurokrisen­fonds ESM erfolgen soll, der zu einem „parlamenta­risch kontrollie­rten europäisch­en Währungsfo­nds“weiterentw­ickelt werden soll.

Damit wäre dem deutschen Bundestag eine Mitbestimm­ung verwehrt und die Entscheidu­ngen dem europäisch­en Parlament anheim gegeben. Damit wird die letzte Hürde für die längerfris­tige Nivellieru­ng des deutschen Wohlstands auf das durchschni­ttliche mittlere Niveau aller Euro-Mitgliedss­taaten genommen. Auch hier scheint die CDU-Chefin bereit zu sein, in einer Schicksals­frage der Deutschen eiserne Prinzipien aufzugeben und ihren persönlich­en Karrierezi­elen zu opfern.

Von der offenen Parteiende­mokratie ist bei der CDU

nicht viel übrig geblieben

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