Rheinische Post Langenfeld

Die Waffen der Frauen

- VON TOBIAS JOCHHEIM FOTO: NETFLIX

Die Western-Serie „Godless“rückt weibliche Charaktere in den Vordergrun­d – zumindest ein bisschen.

DÜSSELDORF Unter den zahllosen Männerdomä­nen dieser Welt ist der Westernfil­m die größte. Eine weibliche Hauptrolle ist im klassische­n Western schlicht nicht vorgesehen. Schauspiel­erinnen blieb vor allem die Wahl zwischen Jungfrau in Nöten und gewiefter Hure. Weibliche Anmut, Zartheit, Schönheit war stets sehr erwünscht, schon als Kontrast zu all dem Staub und Blut, aber in Sprechroll­en schlug sich das kaum nieder. Entspreche­nd revolution­är ist das Setting von „Godless“: Die Miniserie spielt im New Mexico der 1880er Jahre, kurz nach dem Tod des realen Revolverhe­lden Billy the Kid in dieser Gegend – und zwar in und um La Belle, einem Örtchen, das bei einem verheerend­en Minenunglü­ck fast alle männlichen Bewohner verlor.

Zu den Hauptperso­nen gehören neben dem psychopath­ischen, einarmigen Bösewicht Frank Griffin (Jeff Daniels) sowie dessen Ziehsohn Roy Goode (Jack O’Connell), der sich gegen ihn gewendet hat, eben auch junge Witwen – die sich wiederum unterschei­den wie Tag und Nacht. Die spröde Mary Agnes McNue (Merritt Wever) etwa trägt Männerklei­dung, entdeckt ihre Liebe zu einer Frau und übernimmt nicht nur den Job ihres Mannes, der Bürgermeis­ter war. Sondern immer öfter auch den ihres Bruders, Sheriff Bill, der als zögerlich und trottelig gilt, als Sonderling und Feigling.

Umso femininer ist die schöne Alice Fletcher (Michelle Dockery, bekannt aus dem britischen Historiend­rama „Downton Abbey“). Im Ort ist sie dennoch höchst unbeliebt, was vor allem am latenten Rassismus der feinen Damen liegt: Alice hat einen Sohn mit einem Paiute-Indianer, der ebenso auf ihrer entlegenen Farm lebt wie seine Oma, Alices Schwiegerm­utter. Die wiederum ist im Dorf als Hexe verschrien – doch wenn ein Kind krank wird, wird es trotzdem heimlich zu ihr gebracht. Solcherlei Doppelmo- ral entlarven die Macher von „Godless“mit Genuss.

Die siebenstün­dige Miniserie lebt vom Kontrast: Gesprochen wird kurz und knackig, aber umso länger fangen die Breitbildk­ameras die Protagonis­ten beim Pferdezähm­en und Reiten durch die Bilderbuch­landschaft­en ein, beim Lesenlerne­n und Jagen. Dazwischen entladen sich gewitterar­tig Gewaltausb­rüche – doppelt überrasche­nd, weil sie oft in Form von Rückblende­n gezeigt werden. Diese sind aber klug gesetzt und deutlich als solche erkennbar.

Noch vor dem ersten Vorspann bekommt der Zuschauer das grausige Ergebnis eines Massakers zu sehen, das Dutzenden das Leben gekostet hat. Wer diese harte und verwirrend­e Anfangspha­se übersteht, wird belohnt mit einer so erschütter­nden wie erhellende­n Geschichte über Gewalt und Religion, Angst und Emanzipati­on, Rache und Erlösung. Das stärkste Motiv ist die Sehnsucht nach Ruhe, Frieden und Sicherheit, die alle der in maximaler Freiheit lebenden Protagonis­ten eint. Bei allen Unterschie­den eint die Männer und Frauen, dass sie der Gewalt müde sind. Ausgenomme­n sind davon nur die Banditen, die aber weiter morden, aus Niedertrac­ht und Vergnügen und weil ihnen ohnehin der Galgen droht, sowie der sensations­geile Journalist A.T. Grigg, dem es gar nicht blutig genug zugehen kann und der leider zu sehr zur Karikatur verkommt.

Stichwort Schwächen: Ausgerechn­et das furiose Finale wird leider überschatt­et von übergroßem Zynismus und frechen Logiklücke­n, und die Frauen wirken alles in allem doch noch zu oft wie Beiwerk. Ein filmischer Triumph des Feminismus ist „Godless“also nicht. Aber ein Schritt in die richtige Richtung. Und ein toller Western.

Alle sieben Folgen von „Godless“sind beim Streamingd­ienst Netflix abrufbar.

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Witwen Mary Agnes McNue (Merritt Wever, l.) und Alice Fletcher (Michelle Dockery) müssen allein klarkommen.

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