Rheinische Post Langenfeld

Die schwere Last der „Sowohl als auch“-Partei

- VON MICHAEL BRÖCKER VON STEFAN WEIGEL „HAB’ DICH UNENDLICH DOLL LIEB“, SEITE A 3

In Bonn schreiben Sozialdemo­kraten gerne Geschichte. 1959 begründete­n sie im heutigen Stadtteil Bad Godesberg ihr wegweisend­es Programm einer Mitte-links-Regierungs­partei. Einer Partei, die sich für den mittleren Weg und nicht für den Fundamenta­lismus entschied. Konsens statt Klassenkam­pf. Marktwirts­chaftliche Ordnung statt Milieusozi­alismus. Bündnistre­ue zum Westen und Partnersch­aft mit dem Osten. Raus aus dem „Turm der Traditions­kompanie“(Ernst Reuter), rein in die Verantwort­ung für das Ganze. Links, aber mit gesundem Menschenve­rstand, könnte man das Godesberge­r Programm auch zusammenfa­ssen. Willy Brandt forderte von seiner Partei später, dass sie die Partei des „donnernden Sowohl-als-auch“bleiben müsse. Godesberg ebnete den Weg zur Macht. 1957 lag die Union 19 Prozentpun­kte vor der SPD, 1961 nur noch neun. 1966 regierten die Genossen mit, 1969 stellten sie mit Willy Brandt den Bundeskanz­ler.

Auch morgen in Bonn geht es wieder um die Mehrheitsf­ähigkeit. Viele Sozialdemo­kraten wollen gestalten, für Europa Ideen entwickeln, die Rahmenbedi­ngungen für eine digitale Arbeitswel­t entwerfen, eine gerechte Verteilung der Chancen im Land erreichen und neue soziale Härten abfedern. Nicht alles ist in den Sondierung­spapieren zu finden. Aber von der Auswechsel­bank aus kann man ein Spiel nicht drehen. In den Beschlüsse­n stecken Kernelemen­te des SPD-Wunschzett­els, von der Grundrente über den Rechtsansp­ruch auf Ganztagsbe­treuung bis zur Rentennive­austabilis­ierung. Da muss man als Groko-Gegner schon gut argumentie­ren.

Wenn sich die SPD angesichts dieser aus der Sicht ihrer Klientel ja erkennbare­n Verhandlun­gserfolge nun konkreten Koalitions­gesprächen mit der Union widersetzt, wird sie bei den anstehende­n Wahlen in Bayern, Hessen und bei der Europawahl 2019 kaum zulegen. Ein Juso-Funktionär mag die reine Lehre fordern, einem SPD-Wähler ist 20 Prozent sozialdemo­kratische Politik immer noch lieber als 0 Prozent.

Ob eine erneute Groko gut für das Land ist, wird sich zeigen müssen. Dass dieses Bündnis aber den wichtigen EU-Konsens vorantreib­en, in der Familienpo­litik Akzente setzen und Investitio­nen in Bildung und Digitales steigern kann, darf erwartet werden. Das ist keine Vision, keine Agenda 2030, aber auch nicht nichts. Das eigentlich­e Problem in der SPD ist doch der Vertrauens­verlust der Anhänger in ihre Führung, in Martin Schulz. Der Scharfmach­er gegen die Groko ist jetzt ihr Maskottche­n. Das erzeugt wenig Nestwärme. Die Dynamik eines Parteitags könnte einen Weg finden, der Schulz’ Abschied einläutet und trotzdem die Groko möglich macht. BERICHT EU-KOMMISSAR DRÄNGT SPD ZUR GROKO, TITELSEITE

VGrenze überschrit­ten

on einem Pfarrer, einem guten zumal, erwartet man, dass er zu seiner Gemeinde ein Vertrauens­verhältnis hat. Gerade auch zu den jungen Gemeindemi­tgliedern, denn ein Pfarrer hat täglich Kontakt zu Kommunionk­indern, Firmlingen und Messdiener­n. Es ist gut, wenn Priester dabei moderne Wege gehen. Denn es ist egal, ob die Worte der Seelsorge in Stein gemeißelt oder per Whatsapp ihren Adressaten erreichen.

Die Grenzen einer solchen Kommunikat­ion sind fließend. Wenn ein Pfarrer aber mit einem Jugendlich­en über anderthalb Jahre fast ununterbro­chen manchmal hundertmal am Tag chattet und dabei intimste Dinge austauscht, dann ist diese Grenze – wo immer sie verlaufen mag – überschrit­ten. Dafür trägt der Pfarrer die Verantwort­ung, nicht der Jugendlich­e. Wenn eine solche Grenze verletzt wird, dann muss die Kirche ehrlich kommunizie­ren und alles unternehme­n, damit sich ein solcher Fehler nicht wiederholt, statt den Pfarrer unter dem Vorwand eines Burn-outs verschwind­en zu lassen. Von einer Kirche muss man mehr erwarten dürfen. BERICHT

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