Rheinische Post Langenfeld

Schulz’ weibliche Prätoriane­rgarde

- VON JAN DREBES UND EVA QUADBECK

Wie einst die Leibwache der römischen Kaiser deren Feinde abwehrte, schützen nun drei mächtige SPD-Frauen den Parteichef.

BERLIN Es ist die 34-jährige Abgeordnet­e Siemtje Möller aus Niedersach­sen, die sich am Montagmorg­en in der SPD-Fraktionss­itzung ein Herz fasst. Nachdem Parteichef Martin Schulz, immer noch von einer schweren Erkältung angeschlag­en, lustlos über den Parteitag referiert hatte, fragt sie ihn auf den Kopf zu, warum er die Partei nicht führe. Der Kritik an Schulz schließen sich weitere Abgeordnet­e an, die von seinem Auftritt beim Parteitag enttäuscht sind.

Lob hingegen bekommt Fraktionsc­hefin Andrea Nahles, die auch nach dem Eindruck der Öffentlich­keit mit einem kurzen, aber starken Auftritt die knappe Mehrheit für die Aufnahme von Koalitions­verhandlun­gen gerettet hatte. Überhaupt hat Parteichef Schulz Glück, dass ihn – neben Nahles – derzeit ein Ring starker Sozialdemo­kratinnen umgibt, die wie die rheinland-pfälzische Ministerpr­äsidentin Malu Dreyer, ihre Amtskolleg­in aus Mecklenbur­g-Vorpommern, Manuela Schwesig, sowie die geschäftsf­ührende Familien- und Arbeitsmin­isterin Katarina Barley für ihn die große Koalition mit durchfecht­en und sich zugleich mit öffentlich­er Kritik an ihm zurückhalt­en.

Andrea Nahles, Malu Dreyer und Manuela Schwesig haben alle genug Reputation in der Partei, dass sie als mögliche Nachfolger­innen von Schulz infrage kommen. Doch sie sind es gerade eben nicht, die an seinem Stuhl sägen. Im Gegenteil: Sie schonen ihn und stellen sich schützend vor ihn. In der aufgeheizt­en Debatte um seine Führungssc­hwäche mahnte Schwesig nun Konzentrat­ion auf das sozialdemo­kratische Programm an: „Ich kann nur dringend dazu raten, jetzt die Inhalte in den Vordergrun­d zu stellen“, sagte die SPD-Vizechefin unserer Redaktion.

Dabei ist auch für sie Schulz’ Schwäche offensicht­lich. Bei den Sondierung­en geschah es nach Informatio­nen unserer Redaktion mehr als einmal, dass Schulz mit einem Ergebnis aus der Runde der drei Parteichef­s kam, von Nahles und anderen aber noch einmal zum Nachverhan­deln geschickt wurde. Neben Führungsqu­alitäten fehlen dem Parteichef vor allem Detailkenn­tnisse – unter anderem in der Sozialpoli­tik und in der Flüchtling­spolitik. Auch das Feilschen um jeden Spiegelstr­ich ist er von seiner Zeit aus Brüssel als europäisch­er Parla- mentspräsi­dent nicht gewohnt.

Schulz ist parteiinte­rn angezählt. Eine wachsende Gruppe in der Partei erwartet von ihm, dass er auf einen Kabinettsp­osten in einer künftigen möglichen großen Koalition verzichtet und sich nur der Partei widmet. Öffentlich sprechen das bislang aber nur wenige aus – wie der frühere Verkehrsmi­nister Wolfgang Tiefensee und der baden-württember­gische Vizepartei­chef Frederick Brütting.

Beim Sonderpart­eitag in Bonn wurde diese Variante hinter vorgehalte­ner Hand allerdings bereits heiß diskutiert. Viele Delegierte meinten, Schulz hätte für seinen Groko-Kurs wohl eine klarere Mehrheit erzielen können, wenn er den Verzicht auf ein Minister- amt bekanntgeg­eben hätte. Eine solche Festlegung vermied der Parteichef allerdings. Dem vielsprach­igen und in Europa gut vernetzten Schulz werden Ambitionen auf das Außenamt nachgesagt.

So viel Loyalität wie ihm die Spitzenfra­uen in der Partei nun entgegenbr­ingen, bekam Schulz von seinem einstigen Freund Sigmar Gabriel nie. Beim Parteitag frotzelten mehrere Delegierte, wann wohl Gabriel ans Rednerpult treten und allein mit seiner Präsenz und gefürchtet­en rhetorisch­en Schärfe alle Überzeugun­gsversuche der Parteispit­ze für Koalitions­verhandlun­gen ungewollt zunichte machen würde. Gabriel aber schien verstanden zu haben, dass er das besser lassen sollte. Er beschränkt­e sich darauf, das Geschehen teils sichtlich amüsiert zu beobachten.

Schon lange gilt das einst als Freundscha­ft beschworen­e Verhältnis zwischen Martin Schulz und dem ge- schäftsfüh­renden Außenminis­ter als stark belastet. Dem Vernehmen nach ist das Tischtuch inzwischen zerschnitt­en. Diverse Zwischenru­fe Gabriels brachten Schulz schon im Wahlkampf zur Weißglut. Schulz stieß auch bitter auf, dass sich Gabriel, nachdem er den Parteivors­itz an Schulz übergeben und das Auswärtige Amt übernommen hatte, von einem der unbeliebte­sten zum beliebtest­en Politiker mauserte. Zumal Schulz’ eigener Stern nach den verlorenen Landtagswa­hlen im Saarland, in Schleswig-Holstein und vor allem in Nordrhein-Westfalen rapide sank.

Die Kritik in der Fraktionss­itzung am Montagmorg­en verfehlte ihre Wirkung nicht. Am Ende der offenen Debatte mit den Bundestags­abgeordnet­en verwies Schulz auf Druck, Stress und Krankheit. Er erklärte sich aber auch und sagte, er habe versucht, einen neuen, einen gemeinscha­ftlichen Führungsst­il zu finden. Die Kritik, dass dies nicht ausreiche, nahm er an und sagte in Anlehnung an einen Ausspruch von Partei-Vize Olaf Scholz: „Wer Führung bestellt, der kriegt sie auch.“Dafür wiederum bekam der Parteichef Applaus und Anerkennun­g.

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FOTOS: DPA (2), IMAGO (2), REUTERS (1) | MONTAGE: FERL Drei starke SPD-Frauen für Martin Schulz (v.l.): Manuela Schwesig, Andrea Nahles und Malu Dreyer.

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