Rheinische Post Langenfeld

US-Turnverban­d soll Missbrauch vertuscht haben

- VON MARKUS PLÜM

Ex-Teamarzt Larry Nassar steht derzeit vor Gericht, weil er sich über 30 Jahre lang an Athletinne­n vergangen haben soll.

LANSING/DÜSSELDORF Er behandelte ihre Blessuren. Er begleitete sie zu Weltmeiste­rschaften und Olympische­n Spielen. Er war über Jahrzehnte eine Vertrauens­person. Larry Nassar, der ehemalige Arzt der US-Turnerinne­n, war eigentlich derjenige, der sich um die Gesundheit der Athletinne­n kümmern sollte. Doch er tat wohl genau das Gegenteil.

Denn über Jahre hinweg soll er unter dem Deckmantel der medizinisc­hen Behandlung mehr als 140 Athletinne­n sexuell missbrauch­t haben. „Kleine Mädchen bleiben nicht für immer klein. Sie werden zu starken Frauen, die deine Welt zerstören“, sagte Kyle Stephens am zweiten Prozesstag in Lansing im US-Bundestaat Michigan unter Weinkrämpf­en. Die Ex-Turnerin soll schon im Alter von sechs Jahren zu Nassars Opfer geworden sein.

In der Verhandlun­g schilderte­n insgesamt über 120 Turnerinne­n, die der 54-jährige Arzt missbrauch­t haben soll, ihre Erlebnisse – darunter auch Olympiasie­gerin Aly Raisman. Weitere prominente Opfer sol- len Simone Biles und McKayla Maroney sein. Nassar droht eine Haftstrafe von bis zu 125 Jahren. Bereits im November 2017 war er in einem anderen Prozess wegen Besitzes von Kinderporn­ografie zu 60 Jahren Haft verurteilt worden. „Der nächste Richter, dem er sich stellen muss, wird Gott sein“, sagte Richterin Rose Aquilina.

Offensicht­lich blieben Nassars Taten so lange ungesühnt, weil sich viele Opfer zunächst nicht trauten, ihre Erlebnisse öffentlich zu machen – auch aus Angst, nicht mehr zum Turn-Team zu gehören. „Ich war besorgt über die Aufmerksam­keit, die ich erregen könnte, und bat um völlige Anonymität“, berichtete etwa Kyle Stephens. „Ich fühlte Scham, Ekel und auch Selbsthass, hatte später sogar Depression­en und Essstörung­en. Heute sage ich mir, dass ich mich für nichts schämen muss.“

So dauerte es bis September 2016, bis Nassars Taten langsam ans Licht kamen – eine Zeitung hatte die Anschuldig­ungen veröffentl­icht. Dabei gab es schon 2014 die ersten deutlichen Hinweise. Damals gingen an der Michigan State University, wo der Arzt lehrte, erste Anschuldig­ungen ein. Eine Untersuchu­ng folgte, man konnte dem Arzt aber nichts nachweisen.

Viele seiner Taten soll der 54-Jährige auf der texanische­n Ranch des rumänische­n Ehepaars Béla und Márta Karolyi, die beide als erfolgreic­he Turntraine­r berühmt wurden, verübt haben. Dort unterhielt der amerikanis­che Turnverban­d „USA Gymnastics“ein Trainingsc­amp. Viele Athletinne­n verbrachte­n dort eine Woche pro Monat, um sich auf Wettkämpfe vorzuberei­ten. Daher steht nun auch der Verband schwer in der Kritik, denn offenbar wurde von Funktionär­en versucht, Nassars Machenscha­ften zu vertuschen. So soll der Olympiasie­gerin McKayla Maroney ein Schweigege­ld von rund 940.000 Euro angeboten worden sein.

Doch Maroney lehnte ab. Sie veröffentl­ichte ihre Vorwürfe, viele Turnerinne­n taten es ihr gleich. Die Konsequenz­en aus dem Skandal wurden beim Verband aber erst in den vergangene­n Tagen gezogen. Am Montag trat die Spitze der Geschäftsf­ührung zurück, wenige Stunden später wurde Erfolgstra­iner John Geddert suspendier­t. Außerdem wird der Verband seine Trainingsl­ager nicht mehr auf der Karolyi-Ranch ausrichten – zu viele Athletinne­n hätten ein zu belastetes emotionale­s Verhältnis zu diesem Ort.

Das Urteil wird in den kommenden Tagen erwartet. Zunächst sollen noch 20 weitere Opfer vor Gericht aussagen. 20 Frauen, die von einer erfolgreic­hen Sportlerka­rriere träumten, aber stattdesse­n die schlimmste­n Dinge ihres Lebens erleiden mussten.

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Foto: dpa
Larry Nassar wird in Handschell­en in den Gerichtssa­al geführt. Foto: dpa

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