Sozialdemokratische Zeitenwende
DÜSSELDORF Eine Torte sagt oft mehr als tausend Worte. „Torten der Wahrheit“zum Beispiel, kleine satirische Diagramme in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Neulich gab es eine akkurat in zwei Hälften geteilte Torte. Überschrift: „Was die SPD jetzt falsch machen kann“. 100 Jahre ein sozialdemokratisches Jahrhundert. Das beginnt 1918, als die SPD Regierungsverantwortung übernimmt und die Niederlage abwickelt. 1933 bietet sie als letzte Partei Hitler im Reichstag die Stirn. 1959 findet sie mit dem Godesberger Programm den Weg zur Volkspartei. In den 60er Jahren ebnen Sozialdemokraten durch massive Investitionen Millionen den Weg zu akademischer Bildung und sozialem Aufstieg. Anfang der 70er gestaltet Willy Brandt die neue Ostpolitik, die einer der Bausteine der deutschen Einheit wird. 30 Jahre später boxt Gerhard Schröder die dringend nötige „Agenda 2010“durch. Und 2018 wird die SPD wohl wieder Regierungsverantwortung übernehmen – Gleichheit? Habe die SPD im Kern mit der Agenda aufgegeben. Arbeit? Werde von der SPD auf Erwerbsarbeit verengt. Vernunft? Von wegen, „alternative Fakten“sind in! Der Staat? Leide unter Vertrauensschwund. Internationalismus? Lieber die Grenzen zu, laute die Parole. Man könnte es auch so fassen: Umverteilung, Protest, idealistische Weltoffenheit, allesamt alte sozialdemokratische Haltungen, vertreten heute andere konsequenter – Linke, AfD, Grüne.
Wenn Dahrendorf damals schon recht hatte, hat er es heute erst recht – nur dass sich heute die strukturelle Krise der SPD auch in krisenhaften Wahlergebnissen äußert. Die Wähler sind mobil geworden, alte Loyalitäten verdampft. Das heißt auch: 15 Prozent scheinen nicht mehr unmöglich.
Bleibt die Frage, was das nun heißt. Auch wenn Regieren keine Pflicht ist, wird man gegen eine erneute große Koalition rational schwer argumentieren können – seit Max Weber wissen wir: Den eigenen Willen durchsetzen zu können, bedeutet Macht, das Ziel aller Politik. Eine Groko ist nur konsequent; Ängste, Angela Merkel regiere alle Partner in sondern auch die entschlossene Würdigung von Leistung, in der Schule und im Erwerbsleben. Ohne Richtungsentscheidungen wird es kaum gehen.
Am Ende des Jahrhunderts seien „wir (fast) alle Sozialdemokraten geworden“, stellte Dahrendorf 1983 fest. Und es stimmt ja, auch wenn kaum jemand noch weiß, was das bedeutet. In dem Satz steckt mehr als der Spruch, die SPD habe sich zu Tode gesiegt – es geht um Wertewandel, um politische Kontinentalverschiebung. „Die alte SPD findet man heute mehr in der CDU, der CSU und selbst in der AfD wieder“, resümiert der Osnabrücker Politologe Roland Czada, ein Dahrendorf-Schüler; ihr fehlten Orientierung und „zugkräftiges Führungspersonal“zugleich.
„Gesellschaftlichen Weitblick“vermisst Ute Fischer: Visionen. Wobei gilt: Höhere Steuern verlangen, Siemens beschimpfen, selbst die Bürgerversicherung sind noch keine Visionen, nur Mittel. Und Visionen sind keine politische Krankheit. Sie fehlen, gerade in der Sozialdemokratie, ebenso wie die intellektuellen Köpfe, die diese Visionen entwickeln. Also, mit einem Titel der deutschen Band Deichkind gesagt: Denken Sie groß!
Eine Merkel haben schon die anderen.
ja