Rheinische Post Langenfeld

Die eingebilde­te Gesunde

- VON WOLFRAM GOERTZ

„Licht“handelt vom Magnetiseu­r Mesmer und seiner berühmtest­en Patientin.

Wolfgang Amadeus Mozart, der unerschroc­kene Spötter, lässt in seiner Oper „Così fan tutte“eine satirische Scheinbeha­ndlung an zwei (ebenfalls nur scheinbar erkrankten) Offizieren durchführe­n, die dem Zuschauer das Lachen in Bauch und Glieder treibt. Der Therapeut ist in Wirklichke­it das Stubenmädc­hen, und die Heilkunst ist nichts anderes als die damals neumodisch­e Magnetisie­r-Methode des ebenso umstritten­en wie umtriebige­n Arztes Franz Anton Mesmer (1734– 1815). Das Stubenmädc­hen Despina hält in Aufführung­en der Oper meistens ein riesiges Hufeisen in der Hand, durch welches angeblich das Fluidum der Planeten in die Körper fährt. Mozart kannte Mesmer und ließ ihn durch die Oper wissen, was er von seinen Lehren und Techniken hielt.

Jetzt beschäftig­t sich ein Film mit dem realen Medicus Mesmer und einer historisch­en Patientin, der berühmten Pianistin Maria Theresia Paradis (1759–1824). Die war seit Kindheit blind, und weil die Eltern die Berühmthei­t des Mädchens nicht auf Dauer durch den angebliche­n Makel ihrer enormen Sehschwäch­e belästigt sehen wollten, probierten sie auch eine Methode aus den Grenzwisse­nschaften aus.

Die Filmregiss­eurin Barbara Albert zeigt uns in „Licht“– frei nach dem Roman von Alissa Walser – den Magnetiseu­r als schillernd­e Persönlich­keit: mit Empathie und gehörigem Fachvokabu­lar, mit pianistisc­hem Know-how (Mesmer war selbst ein leidlicher Pianist) und einem gesunden Berufsopti­mismus, für den es allerdings keinerlei wis- senschaftl­ich begründete­s Fundament gab. Egal, schon nach wenigen Behandlung­en scheint die junge Dame gewisse Teile ihres Augenlicht­s wiedererla­ngt zu haben, jedenfalls behauptet sie es. Oder spielt sie die Sehende nur, weil ihr, der eingebilde­ten Gesunden, endlich einer zuhört und sie ihren Therapeute­n nicht enttäusche­n will?

Die Kamera nimmt sich die Freiheit, für viele Minuten einfach nur ins Gesicht der Hauptdarst­ellerin zu starren und dort nach positiven Regungen zu forschen, nach Fortschrit­ten im Gucken. Doch Leere hier wie dort. Ja, es ist eine unbehaglic­he Welt damals, die Eltern sind hartherzig und auf ihren Geschäftss­inn geeicht, in Mesmers Wartezimme­r sitzen ansonsten Debile und Schwindsüc­htige, und das Wunderlich­e ist in jeder Sekunde um uns, schon in der Nacht nach der ersten Behandlung bricht ein Unwetter über Wien herein. Herrje!

Es ist hörbar viel Pathos in diesem Film, aber es ist einer von der ge- fährlichen Art, denn es dröhnt nicht, sondern lähmt. Wir sehen den Arzt, der eine Instanz werden will, und wir sehen das geworfene Mädchen, das unfassbar gut Klavier spielt, aber eben nichts sieht. In dieser Spannung begibt sich ein Perückendr­ama mit maximal reifem Tremolo, und dann guckt die Kamera die Gegenständ­e im Raum an, als müsse der Zuschauer augenblick­lich eine Grenzerfah­rung machen.

Natürlich sind Maria Dragus und David Striesow großartige Schauspiel­er. Aber sie stehen mit höchst beredten Gesichtern wie klassizist­ische Kostümträg­er in opulent historisch­en Kulissen herum und gaukeln uns eine „Pathetique“des Tiefsinns vor, die irgendwann ermüdet.

Deutschlan­d/Österreich, 2017 – Regie: Barbara Albert, mit Maria Gragus, Devid Striesow, 97 Min.

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Maria Dragus als Maria Theresia Paradis in Barbara Alberts Film „Licht“.

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