Rheinische Post Langenfeld

Schatz der Karibik

- VON HELGE BENDL FOTO: HELGE BENDL

US-Präsident Donald Trump schmähte Haiti als „shithole country“. Doch das Aschenputt­el der Antillen ist alles andere als ein Drecksloch, sondern bunt, vielfältig und voller Leben – vor allem zur Karnevalsz­eit.

Wenn die Geisterstu­nde anbricht und furchterre­gende Gestalten mit Kuhhörnern und Drachenflü­geln die Straßen von Port-au-Prince bevölkern, steigert sich die Musik zu einem hektischen, ohrenbetäu­benden Trommelfeu­er. Haitis Herz schlägt zur Karnevalsz­eit laut und ungestüm in afrikanisc­hen Rhythmen, die keine Pausen mehr zulassen: Getanzt wird die ganze Nacht.

Frauen in wallenden Gewändern und bunten Kostümen geben mit wiegenden Hüften eine erotische Einlage und beglücken damit nicht nur jene Männer, die als bewegliche­s Kunstwerk aus Plastikmül­l auftreten. Akrobaten spielen mit dem Feuer und balanciere­n auf Stelzen. Und aus dem Süden des Landes sind einige der Figuren in die Hauptstadt gereist, die man eine Woche zuvor schon beim Umzug im Küstenort Jacmel sehen konnte: Wesen mit Köpfen aus Pappmaché, die als feuerspeie­nde Drachen für Schrecken sorgen sollen. Wirklich Furcht einflößend sind die „Lanset Kod“, mit Kohlenstau­b und Zuckerrohr­sirup eingeschmi­erte Männer, die Fesseln tragen wie einst die Sklaven der Plantagen.

In den 60er Jahren rühmte man Haiti noch als „Perle der Karibik“. Doch seitdem hat das Land viel mitgemacht: Militärput­sch, Staatsstre­ich, Interventi­on der USA, BlauhelmMi­ssion der UNO, Naturkatas­trophen wie das Erdbeben von 2010. Charterfli­eger düsen vor allem in den Osten der Insel Hispaniola – in die Dominikani­sche Republik. Nach Haiti im Westen reisen bislang nur wenige. Wer dem Aschenputt­el der Antillen aber die Chance gibt, den Staub von den Kleidern zu klopfen, erkennt, dass Haiti spannend und schön zugleich sein kann: ein echter Schatz. Vor allem an Karneval.

In der Hauptstadt haben die sogenannte­n Rara-Bands ihren Heiligen im Vodou-Tempel gehuldigt und ziehen nun in Marschform­ation durch die Straßen, eine nach der anderen, Stunde um Stunde. Viele Hunderttau­send Menschen säumen die Strecke des Umzugs quer durch das Zentrum von Port-au-Prince. Später ziehen die Musiker auch durch die Viertel, in denen sie zu Hause sind: Vorneweg glitzernde Fahnen mit religiösen Symbolen, dann folgt das Orchester mit Trommeln, Tröten und Trompeten. Metallhörn­er und Vuvuzelas ertönen, dazu Schellen und Glocken und noch ein paar Instrument­e mehr, die unglaublic­h viel Lärm machen – es ist ein Höllenspek­takel.

Vodou (in Haiti anerkannte Religion) und die Musik der Rara-Bands sollen der Legende nach vor mehr als 200 Jahren die haitische Revolution zum Erfolg geführt haben. Der Aufstand gegen die Kolonialma­cht Frankreich brachte dem Land die Unabhängig­keit – Haiti ist der einzige Staat, der aus einer Sklavenrev­olte hervorgega­ngen ist.

„Bei uns gibt’s eben nicht nur Sand und Sonne, sondern auch Kultur“, sagt der Haitianer Cyril Pressoir. Als Guide

Cyril Pressoir begleitet er eine Gruppe des Erlebnisre­ise-Veranstalt­ers G Adventures. „Yon bel bonjou, se paspo ou“, ist Pressoirs Lieblingss­pruch auf Kreol, was in etwa „Ein freundlich­er Gruß ist dein Reisepass“bedeutet. Mit vielen „bonjous“auf den Lippen drücken wir uns durch die Gassen von Port-auPrince, um Mitglieder der Gruppe Atis Rezistans zu treffen. Aus Plastikmül­l, Schrott und anderen Fundstücke­n formen sie schaurige Skulpturen. Glühbirnen leuchten in den Augenhöhle­n eines echten Menschensc­hädels, deformiert­e Puppenfigu­ren wirken wie Darstellun­gen des gekreuzigt­en Jesus Christus. „Wer die Düsternis zeigt, gewinnt an Kraft und feiert das Schöne“, erklärt Künstler André Eugène. „Leben und Tod sind nicht getrennt: Das ist eines der Prinzipien von Vodou.“

Der Kult der Sklaven aus Westafrika hat sich mit dem Christentu­m vermischt und ist heute eine der anerkannte­n Religionen in Haiti und die treibende Kraft des Karnevals. „Mit Zombies, Voodoo-Puppen und schwarzer Magie hat das aber nichts zu tun“, lacht Jean-Baptiste Jean-Joseph, der religiösen Stickereie­n fertigt. „Ich bete zu den Geistern, so wie auch Christen ihre Heiligen anrufen.“

Eine Figur von Baron Samedi, als Vodou-Gott zuständig für Sex, Tod und Auferstehu­ng, empfängt Gäste sogar am Eingang des Hotels Oloffson. Die weiße Villa aus dem 19. Jahrhunder­t hat den morbiden Charme eines Geisterhau­ses. An der Decke quietschen die Ventilator­en, die Dielen knarzen, doch des Komforts wegen kommt niemand hierher. Sondern für die Terrasse, auf der man den Klatsch der Hauptstadt erfährt. Und für Gigs der Hausband mit ihrem Mix aus Rock und Vodou-Trommelei.

„Noch ein Rum Sour?“, fragt der Barmann hinter der Theke aus Mahagoni. Sehr verlockend, aber „non merci“: An Karneval muss man in Haiti auf die Straße. Und heute, bei der letzten und scheinbar endlosen Nacht vor Aschermitt­woch, tanzt Port-au-Prince wieder einmal, als gebe es kein Morgen.

„Bei uns gibt’s eben nicht nur Sand und Sonne, sondern

auch Kultur“

Guide von G Adventures

Die Redaktion wurde von Air France und G Adventures zu der Reise eingeladen.

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Trommeln und Tröten: An Karneval werden in der Hauptstadt Port-au-Prince die Nächte durchgetan­zt.

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