Rheinische Post Langenfeld

Teure Wette auf eine sehr gute Zukunft

- VON BIRGIT MARSCHALL VON REINHARD KOWALEWSKY WACHSTUM IN NRW STÄRKER ALS IM BUND, SEITE B 1 VON MARTIN KESSLER FRIEDENSEN­GEL FÜR ERDOGAN, SEITE A 6

Die SPD hat durch Erpressung sehr viel herausgeho­lt in diesen Koalitions­verhandlun­gen. Bessere Leistungen für gesetzlich Krankenver­sicherte, eine Solidarren­te für Geringverd­iener, Soli-Abbau für alle, nur nicht für Besserverd­ienende – dies und mehr müsste doch Balsam auf die Seele jedes SPD-Mitglieds sein, das in den kommenden Wochen darüber entscheide­n darf, ob Deutschlan­d endlich eine Regierung bekommt.

Dieser Vertrag trägt wie schon der letzte schwarzrot­e von 2013 klar die Handschrif­t der SPD. Frappieren­d ist, dass dieser Eindruck bei den Bürgern bisher nicht verfing. Der Niedergang der SPD ist vor allem auch ein Scheitern ihrer Öffentlich­keitsarbei­t.

Aus Angst vor einem negativen SPD-Mitglieder­entscheid haben die Möchtegern-Koalitionä­re in letzter Minute noch viel hineingesc­hrieben, für das sie gar kein Geld haben. Die Verbesseru­ngen für gesetzlich Krankenver­sicherte etwa dürften viele weitere Milliarden kosten. Der hohe Ausgabendr­uck, der sich aus diesem Koalitions­vertrag insgesamt ergibt, ist eine teure Wette auf eine weiterhin blendende wirtschaft­liche Zukunft. Aber irgendwann wird auch dieser Aufschwung zu Ende sein, und irgendwann wird die EZB auch wieder die Zinsen erhöhen. BERICHT GROKO-SPANNUNG BIS ZUM SCHLUSS, TITELSEITE

ENeue Jobs für NRW

s ist gut, wenn der weltweite Aufschwung auch in NRW für bessere Wirtschaft­sdaten sorgt. Die Arbeitslos­igkeit geht weiter zurück, die Unternehme­n fahren steigende Gewinne ein – doch Grund zum Ausruhen ist das nicht. Noch immer liegt die Arbeitslos­enquote in NRW rund 50 Prozent höher als im Bundesdurc­hschnitt, kein anderes westdeutsc­hes Flächenlan­d schneidet schlechter ab. Also ist Selbstzufr­iedenheit falsch am Platz, die knapp 700.000 Arbeitslos­en in NRW brauchen Chancen.

Was ist zu tun? Es ist vernünftig, wenn die neue Landesregi­erung die Wirtschaft weniger gängeln will. Die angestrebt­e engere Kooperatio­n zwischen Hochschule­n, Gründern und mittelstän­dischen Firmen sollte vorangetri­eben werden – so können vielfach gute Jobs entstehen. Ansonsten braucht NRW vorrangig eine bessere Infrastruk­tur und bessere Schulen. Solange Zehntausen­de Schulabgän­ger nicht einmal richtig Lesen und Schreiben können, solange Staus und verspätete Züge normal sind und solange wirklich schnelle Onlinezugä­nge Mangelware bleiben, hat NRW ein Zukunftspr­oblem. BERICHT

Ein schwierige­r Gast

Der Papst war um klare Worte nicht verlegen, als er bei seinem Besuch in der Türkei 2014 die Glaubens- und Meinungsfr­eiheit anmahnte und sogar den türkischen Genozid an den christlich­en Armeniern anprangert­e.

Vier Jahre später macht Präsident Erdogan seinen Gegenbesuc­h im Vatikan, den ersten eines türkischen Staatschef­s seit 59 Jahren. Und es hat den Anschein, als träfen sich zwei alte Bekannte. Als entspannt bezeichnet­en Anwesende die Gespräche. Über die Ablehnung Jerusalems als alleinige Hauptstadt Israels waren sich die beiden völlig einig.

Es ist gut, dass Papst Franziskus schwierige Gäste empfängt. Doch er hätte deutlicher gegenüber Erdogan sein können. Denn der trägt mit seiner autoritäre­n Politik nach innen und seinem Angriffskr­ieg gegen die Kurden nicht zu Freiheit, Stabilität und Frieden in der Region bei. Auch die Behinderun­g der Christen in der Türkei, das faktische Verbot, neue Kirchen zu bauen, passen nicht zur gezeigten Eintracht zwischen den beiden. Um des lieben Friedens willen darf Franziskus nicht zum Leisetrete­r werden. BEITRAG

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