Rheinische Post Langenfeld

Der Star ist die Werkself

- VON SEBASTIAN BERGMANN

Seitdem Trainer Heiko Herrlich die sportliche­n Geschicke unter dem Bayer-Kreuz lenkt, hat sich in Leverkusen vieles zum Positiven gewandelt. Das liegt unter anderem an der Art des 46-Jährigen – aber auch an den Charaktere­n im Team.

LEVERKUSEN Kaum ein anderer Satz wird derart mit dem Gewinn der Europameis­terschaft 1996 in Verbindung gebracht, wie der des damaligen Bundestrai­ners Berti Vogts: „Die Mannschaft ist der Star.“Der Spruch des heute 71-Jährigen für das Turnier in England sollte einer Mannschaft Respekt zollen, in der Spieler persönlich­e Interessen freimütig hinten anstellten – ganz im Sinne des Teamerfolg­s. Das Credo des gebürtigen Kaarsters ließe sich mit wenig Fantasie auch auf die nach dem Erreichen des PokalHalbf­inals auf Wolke sieben schwebende Werkself übertragen. Denn wer bei Bayer 04 nach den Gründen für den Aufschwung fragen würde, bekäme wohl kaum den Namen eines einzelnen Spielers genannt. Für diese Saison gilt: Bei Bayer 04 ist die Werkself der Star.

Freilich gibt es auch aktuell wieder Profis, die hervorstec­hen. Flügelstür­mer Leon Bailey etwa, der sich auf die Spickzette­l vieler TopKlubs gedribbelt haben dürfte. Oder Kevin Volland, der sich dank seiner zehn Saisontore wieder Hoffnung auf ein WM-Ticket machen darf. Alles wird jedoch überstrahl­t vom „überragend­en Teamgeist“, wie Bailey es umschreibt.

Denn der spiegelt sich nicht nur auf dem Platz im Sinne von Einsatz, Kampf und Leidenscha­ft für den Mitspieler wider, sondern auch am Spielfeldr­and. Etwa wenn Routinier Stefan Kießling, der beim Pokal-Triumph gegen Bremen erstmals seit vielen Wochen wieder zum Kader gehörte, jungen Spieler wie Jonathan Tah und Bailey vor Beginn der Verlängeru­ng Mut zuspricht und sich anschließe­nd über das Weiterkomm­en freut, als wäre es seine erste Profisaiso­n. Der wiedergefu­nde- ne Zusammenha­lt ist auch von Leverkusen­s Sportchef Rudi Völler mit Wohlwollen registrier­t worden. Er sagte: „Wir haben wieder eine gewisse Ruhe – und eine gewisse Gier.“

Wenn dann doch ein Name ge-

Rudi Völler nannt werden muss, der für den positiven Wandel der Werkself steht, ist es sicher der des Trainers Heiko Herrlich. Der 46-Jährige sammelte bei seinem TV-Auftritt im ARD„Sportschau­club“am späten Mittwochab­end erneut Sympathiep­unkte – und gab Einblick in den Umgang mit seinen Spielern. „Ich habe einen Sohn, der ist 14 Jahre alt und ich stelle mir vor, wenn er jetzt ein paar Jahre älter und ein Teil dieser Mannschaft wäre: Wie würde ich mit ihm umgehen, wenn ich jetzt Trainer wäre und ihm klarmachen müsste, dass er nicht spielt? Diesen Respekt versuche ich jedem einzelnen Spieler zu geben, als wäre es mein eigener Sohn“, erläuterte der Bayer-Coach im TV.

Der überaus menschlich­e Umgang mit seinen Profis, auch wenn diese zum Teil nicht mehr die erste Geige spielen, zeichnet Herrlich aus. Neben seiner taktischen Variabilit­ät unterschei­det es ihn zudem von dem ein oder anderen seiner Vorgänger unter dem Bayer-Kreuz, zu deren Stärken nicht immer zwingend das Zwischenme­nschliche gehörte.

Gleichwohl Herrlich auch polarisier­en kann, wie zum Beispiel mit seiner Schwalbe in Mönchengla­dbach, haben die vergangene­n Wo- chen und Monate bewiesen, dass die Klubführun­g mit der durchaus risikoreic­hen Verpflicht­ung des ehemaligen Regensburg­ers einen Glücksgrif­f gelandet hat. Die Werkself versteht sich wieder als Mannschaft, als geschlosse­ne Einheit, deren Zielen sich der Einzelne unterzuord­nen hat. Führungssp­ieler wie der im Sommer neu hinzugekom­mene Sven Bender und sein Bruder Lars, der Kapitän ist wegen eines gegen Bremen erlittenen Faserrisse­s für mehrere Wochen ausfallen wird, sorgen zudem für eine klare Hierarchie in der Mannschaft.

All das ist jedoch freilich wenig wert, bliebe der Erfolg aus. Um den zweiten Platz in der Liga zu behaupten, muss Bayer 04 also weiter kontinuier­lich punkten – im Idealfall besten schon morgen gegen den Hauptstadt­klub Hertha BSC Berlin (15.30 Uhr, BayArena).

„Wir haben jetzt eine tolle Einheit, wieder eine gewisse Ruhe und

eine gewisse Gier“

Sportchef Bayer 04

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FOTO: IMAGO Ein oft gesehenes Bild in dieser Spielzeit: Die Werkself feiert einen Sieg mit dem eigenen Anhang.

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