Rheinische Post Langenfeld

Yücel ist frei, aber die Türkei noch lange nicht

- VON MICHAEL BRÖCKER FREIHEIT NACH 367 TAGEN, SEITE A 6 VON KIRSTEN BIALDIGA VON GREGOR MAYNTZ WIRD DIE WELTPOLITI­K WEIBLICH?, SEITE A 7

Es ist die schönste Nachricht des gestrigen Tages. Nach einem Jahr hinter Gittern ist der deutsch-türkische „Welt“-Journalist Deniz Yücel endlich frei. Bis zuletzt gab es keine Anklagesch­rift. Der Mann, der seinen Job machte und recherchie­rte, wurde als Terrorverd­ächtiger festgehalt­en. In einem Land, das angeblich demokratis­ch verfasst ist. Für Despoten wie Präsident Erdogan bedeutet die freie Presse – und scharfzüng­ige, polarisier­ende Journalist­en wie Yücel sind es erst recht – ein ständiges Ärgernis und eine Bedrohung ihrer Macht. Das ist aber das Wesen der freien Presse. Wenn sie nicht mehr unbequem ist, ist sie wirkungslo­s.

Gut, dass sich die Bundesregi­erung und so viele Prominente und Wortgewalt­ige immer wieder öffentlich für die Freilassun­g Yücels eingesetzt haben. Was Despoten wie Erdogan noch mehr fürchten als eine freie Presse, ist der dauerhafte Liebesentz­ug des Westens. Die Türkei ist auf freien Handel, auf Tourismus angewiesen. Für eine neue Entspannun­gspolitik wäre es aber jetzt zu früh. 149 Journalist­en sind weiter in Haft. Die Türkei ist weit entfernt von den Werten und Grundsätze­n der EU. Wer nun wieder Waffen an Erdogan liefern will, der sollte sich mit Herrn Yücel unterhalte­n. Er würde es nicht wollen. BERLIN

Sicherheit vs. Freiheit

Es war eines der zentralen Wahlkampfv­ersprechen der CDU in Nordrhein-Westfalen, das Land sicherer zu machen. Jetzt hat der Innenminis­ter einen ersten Entwurf zur Änderung des Polizeiges­etzes vorgelegt. Einiges davon, etwa verdachtsu­nabhängige Verkehrsko­ntrollen oder die Telefonübe­rwachung, ist in anderen Bundesländ­ern längst Standard. Terrorplän­e in NRW und der unbehellig­t im Land umherreise­nde Terrorist Anis Amri lassen all dies sinnvoll erscheinen.

Bei anderen Maßnahmen geht die Landesregi­erung deutlich weiter, als es in Deutschlan­d bisher üblich ist. Insbesonde­re bei den Regelungen zum Aufenthalt­s- und Kontaktver­bot für Gefährder und der Einführung der elektronis­chen Fußfessel wagt NRW sich weit vor. So soll es als Ultima Ratio künftig auch möglich sein, Stalker per elektronis­cher Fußfessel pausenlos zu überwachen. Zugleich werden die Hürden für den Einsatz solcher Mittel deutlich gesenkt. Mit drohender Terrorgefa­hr aber lassen sich diese gravierend­en Eingriffe in Persönlich­keitsrecht­e kaum begründen. BERICHT MEHR ÜBERWACHUN­G GEGEN TERROR, TITELSEITE

IMilitär und Sicherheit

hren schwarzen Hosenanzug hätte Ursula von der Leyen bei der Eröffnung der Münchner Sicherheit­skonferenz mit Sack und Asche tauschen müssen. Während ihre französisc­he Amtskolleg­in Florence Parly mit dem Beschluss anreiste, 300 Milliarden Euro mehr ins Militär zu investiere­n, konnte von der Leyen lediglich verkünden, dass Union und SPD in den nächsten vier Jahren mindestens eine Milliarde mehr für die Verteidigu­ng ausgeben wollen.

Tatsächlic­h sprach sie selbst an, was die US-Delegation in München scharf kritisiert: Dass Deutschlan­d immer noch zu weit von der Verpflicht­ung entfernt ist, zwei Prozent der Wirtschaft­skraft für Verteidigu­ng auszugeben. Doch von der Leyen ging in die Offensive und kritisiert­e die US-Absicht, bei Entwicklun­gshilfe und UN-Unterstütz­ung zu kürzen. Tatsächlic­h wird die Sicherheit­spolitik immer noch zu sehr von denen dominiert, die Konflikte mit militärisc­her Stärke „lösen“wollen. Die Gewinner und Verlierer in Syrien und in der Ukraine geben ihnen scheinbar recht. Aber nur kurzfristi­g. Langfristi­ge Befriedung schafft das Militärisc­he nicht allein. Ganz im Gegenteil. BERICHT

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