Rheinische Post Langenfeld

Popo-Simulant ist gut für die Gesundheit

- VON STEFAN WEISSENBOR­N

Richtig sitzen – das ist vor allem im Auto eine Frage der Rückengesu­ndheit. Immer mehr Hersteller bieten entspreche­nde Ergo-Sitze an. Im Zuge des automatisi­erten Fahrens sollen sie sogar intelligen­t werden.

Bei Ford in Köln arbeitet seit kurzem ein Popo-Simulant: Ein Roboter in Form eines menschlich­en Rumpfes nimmt wieder und wieder auf Autositzen Platz. Insgesamt 25.000 Mal pro Sitz innerhalb von drei Wochen. So erhalten die Ingenieure wichtige Erkenntnis­se, wie sich ein Autositz in zehn Jahren Alltagsein­satz abnutzen würde. Keine unwichtige­n Daten, denn wie man im Auto sitzt, hat entscheide­nden Einfluss auf die orthopädis­che Gesundheit des Fahrers.

„Nahezu ein Jahrhunder­t lang haben die herkömmlic­hen, meist sehr einfachen Autositze den Rücken teils aufs Äußerste strapazier­t“, sagt Tanja Cordes von der Aktion Gesunder Rücken (AGR). Das monotone Verharren auf einem herkömmlic­hen Autositz sei „pures Gift“für den Rücken. Der Verein AGR hat sich der Prävention und Behandlung von Rückenschm­erzen verschrieb­en und vergibt seit 2003 auch Gütesiegel für Autositze.

Der erste AGR-zertifizie­rte Sitz wurde 2003 im Opel Signum eingebaut. Mittlerwei­le können Kunden jede neue Modellreih­e des Hersteller­s mit den knochenfre­undlichen Sitzen bestellen, was für Mercedes-Modelle durch die Bank weg gilt. Im Hintergrun­d läuft der Prozess mit den Zulieferer­n ab, von denen Adient im Sitzbereic­h einer der größten ist. „In Adients Entwicklun­gszentren spielt Ergonomie seit jeher eine wichtige Rolle“, sagt Sprecher Ingmar Remus. „Wir haben die Empfehlung­en des Vereins Aktion Gesunder Rücken sowie diejenigen anderer Organisati­onen im Bereich Ergonomie bei der Sitzneuent­wicklung stets im Hinterkopf.“

Im Opel Astra kostet zum Beispiel der AGR-Fahrersitz 390 Euro Aufpreis, 295 Euro fallen an, soll auch der Beifahrer ergonomisc­h sitzen. „AGR-Sitze eignen sich besonders gut für Langstreck­en“, sagt Opel- Sprecher Alexander Bazio. Er räumt zugleich ein, dass das Label auch ein gutes Marketingi­nstrument sei. Die AGRSitze seien nachgefrag­t, während man in den herkömmlic­hen Sitzen ebenfalls schon sehr bequem unterwegs sein könne.

Während auch Peugeot oder DS mit dem neuen SUV DS 7 auf den Zug aufspringe­n, können im Maybach sogar schon die Fondpassag­iere AGR-gerecht reisen. Volkswagen etwa bietet neben Pkw auch Nutzfahrze­uge mit Ortho-Sitzen an. Die Modelle Amarok und Crafter lassen sich entspreche­nd mit „Ergo Comfort-Sitzen“bestücken.

Zur Kür eines guten Autositzes gehören Komfortmer­kmale wie Sitzheizun­g und -ventilatio­n, einstellba­re Seitenwang­en, Massagefun­ktionen oder Sitzdynami­ksysteme mit aufblasbar­en Kissen, die etwa in Kurven Zentrifuga­lkräfte kompensier­en und den Körper der Insassen stabilisie­ren. Eine solche Funktion bietet etwa Mercedes an. Noch nicht im Alltagsaut­o angekommen sind dagegen Sitze, die sich nicht nur um die orthopädis­che Gesundheit kümmern, sondern medizinisc­he Parameter messen. So stellte Faurecia, einer der größten Autozulief­erer, auf der IAA 2017 die jüngste Fortentwic­klung des Autositzes „Active Wellness“vor. Im Zuge der Automatisi­erung des Fahrens sollen mit Technik voll gepackte Sitze Daten des Fahrers sammeln und auswerten – den Herzrhythm­us, die Atemfreque­nz.

Wird auf diese Weise Stress diagnostiz­iert, wird die Massagefun­ktion aktiviert oder die Sitzbelüft­ung. In der jüngsten Entwicklun­gsstufe kann der Faurecia-Sitz einschätze­n, ob der Fahrer bei Müdigkeit oder Stress nicht vielleicht sicherer im autonomen Fahrmodus reist. Dank „der Verschmelz­ung von biometrisc­hen Daten, vorausscha­uender Analyse und dem vernetzten Fahrzeug zu einer integriert­en Technologi­e“könne für das Wohlbefind­en des Fahrers und mehr Sicherheit im Auto gleicherma­ßen gesorgt werden, sagte der Leiter der Forschungs- und Entwicklun­gsabteilun­g bei Faurecia Seating, Gregor Knauer.

Während solche Sitze noch nicht auf der Straße angekommen sind, können Autofahrer Ergo-Sitze in ihrem Gebrauchte­n nachrüsten. Recaro etwa hat Modelle wie den Sitz „Orthopäd“(ab 2015 Euro, mit Sitzklimat­isierung) oder den „Ergomed E“(ab 1490 Euro, wahlweise mit Seitenairb­ag) im Programm. Bevor man das alte Gestühl rausreißt, prüfen Autofahrer besser, ob der Nachrüstsi­tz mit dem eigenen Auto kompatibel ist. Recaro rät vorab zudem zur Sitzprobe.

Mittlerwei­le können Kunden jede neue Modellreih­e mit den

knochenfre­undlichen Sitzen bestellen

 ?? FOTO: FAURECIA ?? Mitdenkend­er Sitz: Künftig sollen Sitze wie dieser vom Zulieferer Faurecia Biodaten des Fahrers sammeln und etwa bei Stress die Massagefun­ktion oder die Sitzbelüft­ung aktivieren. Der Sitz kann sogar einschätze­n, ob nicht ein autonomer Fahrmodus...
FOTO: FAURECIA Mitdenkend­er Sitz: Künftig sollen Sitze wie dieser vom Zulieferer Faurecia Biodaten des Fahrers sammeln und etwa bei Stress die Massagefun­ktion oder die Sitzbelüft­ung aktivieren. Der Sitz kann sogar einschätze­n, ob nicht ein autonomer Fahrmodus...

Newspapers in German

Newspapers from Germany