„Zurzeit ist der Mensch der Technik noch überlegen“
Viele Fragen zum autonomen Fahren gehen über die technische Machbarkeit hinaus. Ein Gespräch mit dem ehemaligen Bundesverfassungsrichter und in Bonn lehrenden Rechtswissenschaftler Prof. Udo Di Fabio über Künstliche Intelligenz am Steuer.
Im vergangenen Jahr hat die vom Bundesverkehrsministerium eingesetzte Ethik-Kommission unter Ihrer Leitung 20 Thesen zum automatisierten und vernetzten Fahren veröffentlicht. Was ist seitdem passiert? UDO DI FABIO Die Thesen waren eine Pionierleistung. Am Tag nach der Veröffentlichung wurden sie ins Englische übertragen und über G7 und G20 in den internationalen Diskurs eingebracht. Die Achillesferse ist die Entwicklung künstlicher Intelligenz. Wer übernimmt die Verantwortung für ein Programm, das sich selbst umschreiben kann? Sie fordern ein unabhängiges Kontrollsystem für selbst fahrende Autos. Wie sieht das in der Praxis aus? DI FABIO Kontrolle durch eine unabhängige Stelle heißt nicht automatisch staatliche Stelle. Der Staat hat zwar eine Gewährleistungsverantwortung, aber er muss nicht alles selbst machen. Es könnten zum Beispiel private Unternehmen eingesetzt werden. Sie sehen die Kontrolle nicht beim Hersteller? DI FABIO Der Hersteller trägt die Produktverantwortung. Ob er die neutrale Stelle sein kann, ist fraglich. Schließlich gibt es wirtschaftliche Interessen. Und als derjenige, der für seine Produkte haften muss, fehlt ihm die Distanz. Aus ethischer Sicht: Was sind die Knackpunkte beim autonomen Fahren? DI FABIO Die meiste Mühe hatte die Kommission bei der Vernetzung und der Datensicherheit. Die Autofahrer werden künftig eine Unmenge an Daten produzieren, die auch für die Wirtschaft interessant sind, die aber auch die Produktverantwortlichen benötigen. Deshalb ist es wichtig, dass Verteilungsregelungen so- Kann eine Maschine den Menschen ersetzen? DI FABIO Zurzeit ist der Mensch der Technik in vielen Fällen noch überlegen. Es gibt allerdings heute schon Situationen, in denen es umgekehrt ist, weil Technik nicht ermüdet, keinen Alkohol konsumiert und am Steuer nicht aggressiv wird. In Zukunft werden wir uns die Frage stellen, warum wir dem Men-
Udo Di Fabio wohl zum Schutz der Datenautonomie als auch für die Verkehrssicherheit erlassen werden. Es muss transparent sein, was mit den Daten geschieht. schen überhaupt noch erlauben sollten, selbst zu fahren. Warum sollten wir? DI FABIO In einer freien Gesellschaft muss ein Maximum an Freiheit und Sicherheit gewährleistet sein. Aber man darf nie das eine zu Lasten des anderen auflösen. Wer Sicherheit will, darf dafür nicht die Freiheit opfern und wer Freiheit will, darf dafür ein gebotenes Sicherheitsniveau nicht unterschreiten. Die Entscheidung, sein Fahrzeug selbst steuern zu wollen, ist eine grundrechtlich geschützte freie Entscheidung. Wir sollten aufpassen, dass wir nicht irgendwann zu zentral gesteuerten Elementen einer Netzwerkarchitektur werden, aus der es kein Entrinnen mehr gibt. Kann ein Computer ethische Entscheidungen treffen? DI FABIO Das ist eine fiktive Überlegung. Es ist nicht ausge- schlossen, dass in Zukunft Künstliche Intelligenz im Wortsinn entsteht. Heute wird programmiert. Jede Anthropologisierung ist fehl am Platz. Eine Maschine bleibt eine Maschine. Die ethische Entscheidung wird vom Programmierer getroffen. Der Menschen kann seiner Verantwortung nicht entgehen. Bei Ihren Thesen geht es im Kern darum, dass Unfälle, bei denen Personen zu Schaden kommen, in Zukunft vermieden werden sollen. Angenommen, das Auto kann aber einen Unfall nicht mehr verhindern und hat nur die Wahl zwischen einem älteren Mann oder einem Kind. Wer legt fest, wie sich das Auto entscheiden soll? DI FABIO Eine Programmierung nach Kriterien wie Alter, Geschlecht oder Schuld darf aus ethischer Sicht keine Rolle spielen. Aber wie soll sich die Maschine dann entscheiden? DI FABIO Entweder bleibt es beim Zufall. Oder die Maschine kalkuliert, bei welcher Entscheidung mit geringeren Verletzungen zu rechnen ist. Wir Menschen könnten solche Entscheidungen häufig gar nicht treffen, weil es zu schnell geht. Wir reden über eine künftige Technik, die berechnet, wie der Aufprallwinkel sein wird. Wie hoch die kinetische Energie ist. Aus Sicht der Kommission wäre es auch ethisch vertretbar, das Auto ausweichen zu lassen, wenn dadurch weniger Menschen verletzt würden. Wir opfern niemanden auf, sondern es wird abstrakt der Grundsatz der Schadensminderung vorgegeben.
Leiter der Ethik-Kommission
DIRK WEBER führte das Gespräch . Das komplette Interview lesen Sie unter www.rp-online.de/auto.