Rheinische Post Langenfeld

Sieger für Lissabon dringend gesucht

- VON JÖRG ISRINGHAUS

Morgen Abend bestimmen Zuschauer und internatio­nale Jurys beim Vorentsche­id den deutschen Teilnehmer für das Finale des Eurovision Song Contest. Das Prozedere wurde radikal verändert, um nicht erneut zu scheitern.

BERLIN Die Zielvorgab­e für den deutschen Beitrag hört sich zunächst mal überschaub­ar an – wenn es geht, bitte nicht Letzter oder Vorletzter werden im Finale des Eurovision Song Contest in Lissabon. Wie schwer das tatsächlic­h ist, haben die vergangene­n drei ESC-Wettbewerb­e gezeigt: Levina hangelte sich 2017 auf den vorletzten, Jamie-Lee (2016) und Ann-Sophie (2015) landeten nur auf dem letzten Platz. Ernüchtert von dieser Niederlage­n-Serie, krempelte ARD-Unterhaltu­ngskoordin­ator Thomas Schreiber das Prozedere für den deutschen Vorentsche­id radikal um. Derjenige, der morgen Abend das Ticket nach Lissabon lösen will, muss sowohl die Fernsehzus­chauer als auch eine 20-köpfige internatio­nale Jury sowie 100 Eurovision­s-Juroren überzeugen. Ob’s am Ende hilft, beim ESC zu glänzen? Zumindest lassen sich mögliche Schuldzuwe­isungen prima auf viele Schultern verteilen.

Zunächst aber gilt es, das bestmöglic­he Lied plus Künstler für das Finale zu finden. Die sechs Kandidaten, die sich morgen Abend in Berlin live dem Fernsehpub­likum präsentier­en, haben bereits ein umfangreic­hes Auswahlver­fahren über sich ergehen lassen. Aus 200 Bewerbern siebten die internatio­nale und die Eurovision­s-Jury 20 Musiker aus, die bei einem Workshop mit Hilfe von Coaches an ihrem Gesang und ihrer Bühnenpräs­enz feilen durften. Am Ende entschiede­n sich die Jurys für sechs Vorentsche­idKandidat­en. In einem zweiten Prozess wurde für jeden Teilnehmer mit Komponiste­n, Produzente­n und Labels das passende Lied gesucht – natürlich aus verschiede­nen musikali- schen Genres. Bloß nichts verkehrt machen, lautete offenbar die Devise dieses fast schon wissenscha­ftlichen Ansatzes. Wurde doch versucht, mit der internatio­nal zusammenge­setzten, von Datensamml­ern über mehrstufig­e Auswahlpro­zesse ausgewählt­en Eurovision­s-Jury den Geschmack europäisch­er Fernsehzus­chauer vorzuempfi­nden.

Wundersame­rweise sind dabei durchaus einige hörenswert­e Lieder herausgeko­mmen, die gestern erstmals offiziell präsentier­t wurden. So stellt Songwriter Xavier Darcy mit „Jonah“ein treibendes GitarrenFo­lk-Stück vor, das nicht nur im Auf- bau stark an Lieder der Band Mumford & Sons erinnert. Auch die raue Stimme des 22-Jährigen passt perfekt zum Vorbild. Der Song macht auf jeden Fall Laune, was beim ESC nicht unbedingt verkehrt ist.

Ivy Quainoo – 2012 Gewinnerin der Casting-Show „The Voice of Germany“, aus deren Teilnehmer­feld noch zwei weitere Kandidaten stammen – bietet dagegen mit „House On Fire“eine R’n’B-Ballade, die etwas zu langsam in Gang kommt und keinen eingängen Refrain zu bieten hat. Rick Jurthe alias Ryk setzt auf viel Gefühl und will mit seiner Schmachtba­llade „You And I“offensicht­lich dem Vorjahress­ieger Salvador Sobral Konkurrenz machen. Die fast zerbrechli­ch wirkende Stimme des 28-Jährigen trägt den Song, der allerdings verdächtig nah am Kitsch navigiert. Aber das trifft ja auf die meisten ESC-Stücke zu.

Die kernige, von Florian Silbereise­n unterstütz­te Männertrup­pe Woxxclub will mit dem Volksmusik­Schlager „I mog di so“punkten. Das im Dialekt gesungene, musikalisc­h eher einfach gestrickte Lied ist sicher ein tanzbarer Gute-Laune-Mitschunkl­er, gehört aber eher an den Ballermann oder zur Ski-Gaudi als ins ESC-Finale.

Natia Todua, „The Voice“-Siegerin von 2017, besitzt eine eigenwilli­ge, unverwechs­elbare Stimme, mit der sie eine allerdings etwas mittelmäßi­g geratene Midtempo-Pop-Ballade singt. Immerhin bleibt der Refrain von „My Own Way“eine Weile im Ohr hängen – lange genug für die Juroren? Michael Schulte, Dritter bei „The Voice“2012, tritt in Berlin mit dem gefühligen Pop-Song „You Let Me Walk Alone“an. Der 27-Jährige ist im Internet bekannt geworden. Er hat einen YouTube-Kanal mit 200.000 Abonnenten. Vielleicht helfen ihm die ja, aus dem Vorentsche­id als Sieger hervorzuge­hen.

Allein mit Zuschauers­timmen ist der Vorentsche­id aber nicht zu gewinnen. Die Punkte entfallen je zu einem Drittel auf die internatio­nale Jury, die Eurovision­s-Jury und die Fernsehzus­chauer. Die internatio­nale Jury besteht aus 20 Personen, die in den vergangene­n Jahren in ihren jeweiligen Heimatländ­ern Mitglieder der nationalen Jury waren. Nach den sechs Auftritten geben dann alle Jurys ihre Stimmen ab. Die Punkte werden getrennt voneinande­r bekannt gegeben. Für den Sieger lautet die nächste Station ESC-Finale am 12. Mai in Lissabon.

Schreiber ist angesichts der Teilnehmer zuversicht­lich. Das Ergebnis des neuen Auswahlver­fahrens habe ihn ermutigt, den eingeschla­genen Weg weiterzuge­hen. Es sei denn, so ist wohl zu vermuten, der Weg führt erneut in die Sackgasse.

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