Abgang eines Superstars
Die schillerndste Frau des Wintersports verlässt Olympia. Ausgerechnet das Finale missglückt Lindsey Vonn.
PYEONGCHANG/DÜSSELDORF Wenn Lindsey Caroline Vonn das Starthäuschen betritt, fängt das Publikum an zu jubilieren. So ist es auch am Fuß des Slalomhangs von Jeongseon. Die Zuschauer, zumindest die meisten von ihnen, wollen Vonn im Zielbereich mit einem Fahnenmeer begrüßen. Doch die lässt ihre Fans länger warten als gedacht. Die Führende nach der Kombi-Abfahrt ist die letzte Starterin im Slalom, fädelt aber ein und scheidet aus.
Ausgerechnet ihr letztes Rennen bei Winterspielen verpatzt die 33Jährige. Erst weinen die Fans mit ihrer gefallenen Heldin. Doch schnell ist das enttäuschende Resultat vergessen. Wohl genau so schnell, wie der Name der Olympiasiegerin – sie heißt Michelle Gisin (Schweiz). Lindsey Vonn aber wird im Gedächtnis bleiben, auch wenn sie „Good bye, Olympia!“sagt.
Die Skirennläuferin aus dem USBundesstaat Minnesota machte als 15-Jährige zum ersten Mal auf sich aufmerksam. Sie wurde Zweite in der US-Abfahrtsmeisterschaft. Es sollte der Startschuss für eine Karriere sein, in der sie bislang bemerkenswerte 81 Weltcupsiege feiern konnte. Abfahrt, Super-G, Riesenslalom, Slalom und Super-Kombination – das sind die großen Fünf im alpinen Skisport. Vonn zählt zu dem erlesenen Kreis derer, die in allen siegreich waren. Die US-Amerikanerin hat es geschafft, zum größten weiblichen Superstar aufzusteigen, den der Wintersport je hervorgebracht hat.
Vonn hat sich immer gerne ausprobiert, ist körperlich zuweilen über Grenzen hinausgegangen. Ein gebrochenes Sprunggelenk, ein Schienbeinkopfbruch und diverse Fingerbrüche. Gehirnerschütterungen, zwei Kreuzbandrisse und ein gebrochener Oberarm. Trotz allem kämpfte sie sich immer wieder zurück. Vonn nutzte die freie Zeit aber anders, als man es von Wintersportlern gewöhnt ist.
Zuletzt tauchte sie eher in Boulevardblättern auf als in Abfahrt-Siegerlisten. Sie nutzte die Bekanntheit, die sie auf ihren Skibrettern er-
Lindsey Vonn langen konnte, um sich daraus eine viel größere Bühne zu bauen.
2011 war Vonn mehrere Monate mit Profigolfer Tiger Woods liiert. Sie posierte bereits im Bikini auf Titelseiten von Hochglanzmagazinen. Sie spielte in einer US-Serie mit und suchte im sozialen Netzwerk „Twitter“nach einer neuen Liebe. Zuletzt setzte die Blondine ihr strahlend weißes Lächeln ein, um für Küchenpapier zu werben. Vonn war sich nie und für nichts zu schade. Das Resultat, das sie als Lohn begreifen dürfte: mehr als eine Million Fans auf „Twitter“, knapp 1,4 Millionen Facebook-„Likes“. Zum Vergleich: Vonns ewige deutsche Konkurrentin, Maria Höfl-Riesch, hat rund 220.000 „Likes“.
Vonn musste dafür immer auch viel Kritik einstecken. Sie gilt als Drama-Queen, immer dann, wenn es zu viel wird, wenn sie mit Hund Lucy posiert oder öffentlichkeitswirksam um ihren verstorbenen Opa weint. Vonn scheint in diesen Momenten zu vergessen, wo der Abfahrthügel endet und die Showbühne beginnt. „Overacting“nennen das die Amerikaner. „Ich weine nicht oder bin traurig, denn ich habe heute mein Herz auf dem Berg gelassen“, schrieb sie nach ihrem sechsten Rang beim Super-G bei Fa- cebook, „das ist alles, was ich geben konnte.“Geweint hat sie in Pyeongchang dann nach ihrem Ausscheiden in der Kombination. Zumindest eine Bronzemedaille, und damit ihr drittes Olympia-Edelmetall nimmt sie mit. Und wer hätte das zu Beginn ihrer Karriere gedacht?
Vonn wuchs in einem Vorort von Minneapolis auf, musste sich unter vier Geschwistern behaupten. Zwar bedankt sich Vonn nach Erfolgen stets artig bei ihren Eltern, doch deren Scheidung zu verkraften bezeichnete, sie einst als „seelischen Kraftakt“. Der Leistungsdruck des Vaters legte das Verhältnis viele Jahre auf Eis. Vonn suchte die Flucht nach vorne.
Nun ist die 33-Jährige eine Olympia-Legende. „Es war eine großartige Reise“, sagte Vonn. Ihr Weg ist aber mitnichten zu Ende. Sie wird ihn im Weltcup und wahrscheinlich abseits der Piste fortführen – bis keiner mehr klatscht.
„Ich weine nicht oder bin traurig, denn ich habe heute mein Herz auf dem Berg gelassen“
US-Skirennfahrerin