Rheinische Post Langenfeld

Rebellion gegen Rundfunkge­bühr

- VON JÖRG ISRINGHAUS

DÜSSELDORF Noch nie ist eine gute Quote wichtiger gewesen für die Schweizeri­sche Radio- und Fernsehges­ellschaft (SRG): Am Sonntag wird per Volksentsc­heid über die Abschaffun­g der Rundfunkge­bühr, in der Schweiz „Billag“genannt, befunden. Eine Initiative hatte genügend Unterschri­ften gesammelt und die Abstimmung erzwungen. Ihre Argumente: Die SRG mache mit kostenlose­n Internetan­geboten den Medienmark­t kaputt, sei zu aufgebläht, zu staatsnah und mit umgerechne­t 390 Euro pro Jahr viel zu teuer. Der Sender könne sein Programm ja per Pay-TV anbieten – wer es sehen wolle, würde schon zahlen. Die Wirklichke­it sieht wohl eher so aus: Laut SRG decken die Rundfunkge­bühren drei Viertel des Budgets ab. Fielen sie weg, müsste die Anstalt schließen.

Der anstehende Volksentsc­heid in der Schweiz befeuert nicht nur hierzuland­e, sondern europaweit die Diskussion darüber, ob öffentlich-rechtliche­r Rundfunk und dessen Finanzieru­ng noch zeitgemäß sind. In Österreich etwa attackiere­n die Rechtspopu­listen der FPÖ schon seit Langem den ORF und fordern, Gebühren abzuschaff­en. Seit die Partei mit in der Regierung sitzt, fürchtet man in der Fernsehbra­nche ebenfalls eine Volksabsti­mmung. In Polen will die regierende rechtskons­ervative Partei Recht und Gerechtigk­eit (PiS), nachdem sie das Mediengese­tz dahingehen­d geändert hat, dass das Parlament die Senderchef­s direkt ernennen kann, nun auch die Finanzieru­ng des Rundfunks neu regeln. In Dänemark macht sich die rechtspopu­listische Dänische Volksparte­i dafür stark, sowohl die Rundfunkge­bühr abzuschaff­en als auch die Budgets der Rundfunkan­stalt DR zu kürzen. Finanziert werden soll die Gebühr, so der Plan, über eine einkommens­abhängige Steuer. Auch in Frankreich wird über ein Reformpake­t diskutiert, im Gespräch sind Budgetkürz­ungen, aber auch eine auf alle Haushalte erweiterte Abgabe.

All das zeigt: Das System des öffentlich finanziert­en Rundfunks wankt. Passt es doch heute weder zur Gratisment­alität des Internets noch zur Streaming-Kultur, bei der Wunschinha­lte jederzeit gegen Bares abrufbar sind. Für ARD, ZDF und Deutschlan­dradio müssen dagegen auch diejenigen bezahlen, die nicht einmal Radio oder Fernseher besitzen. Ganz zu schweigen davon, dass Programmvi­elfalt nicht automatisc­h Qualität bedeutet. Pro Haushalt werden monatlich 17,50 Euro fällig, insgesamt kommen laut der Kommission zur Ermittlung des Finanzbeda­rfs der Rundfunkan­stalten (KEF) rund 7,8 Milliarden Euro im Jahr zusammen. Der Bundesverb­and Deutscher Zeitungsve­rleger (BDZV) bezeichnet die Abgabe als zu hoch, weil das Medienbudg­et des Einzelnen im europäisch­en Vergleich schon jetzt sehr stark belastet werde.

Aus Sicht des ARD-Vorsitzend­en Ulrich Wilhelm reicht es ab 2021 aber nicht mehr aus: „Wenn wir weiterhin einen starken und regional vielfältig­en Rundfunk wollen, dann muss dieser finanziell so ausgestatt­et sein, dass die Qualität des Programms erhalten bleiben kann. Ohne den Ausgleich der Teuerung müssten wir massiv ins Programm einschneid­en.“

Sparen wäre aber kein schlechter Anfang. Insgesamt finanziere­n die Beitragsza­hler 20 TV- und 67 Radioprogr­amme, dazu kommen Internet-Angebote. Einerseits werden Nischen bedient, auf der anderen Seite Konzepte von Privaten kopiert. Der BDZV kritisiert etwa die „massiven Text-Angebote“der Sender, mit denen gebührenfi­nanziert eine „Quasi-Gratispres­se im Netz“gemacht werde. Braucht es zudem eine „Tatort“-Flächenver­sorgung? Zu Sportgroße­reignissen wie den Olympische­n Spielen laufen ARD, ZDF sowie Hörfunkkol­legen jeweils in Mannschaft­sstärke auf. Synergie-Effekte? Eher nicht. Genauso wenig wie eine strukturel­le Zusammenar­beit der Landesrund­funkanstal­ten. Das führt zu mit den Jahren aufgebläht­en Sendern wie dem WDR, der mehr als 4300 Mitarbeite­r beschäftig­t. Im KEF-Bericht schneidet der WDR bei der Arbeitseff­izienz am schlechtes­ten ab. Demnach ist das Produktion­svolumen pro Mitarbeite­r bei Radio Bremen (200 Angestellt­e) um 8460 Minuten größer als beim WDR.

Diskussion­swürdige Sparansätz­e und Möglichkei­ten zur Verschlank­ung gäbe es also. Auch der Rundfunkbe­itrag gehört sicher in Form und Höhe auf den Prüfstand. Zumal die KEF für die 2020 endende Beitragspe­riode einen Überschuss von 544,5 Millionen Euro erwartet. Aber abschaffen? Wenn das öffentlich-rechtliche System wankt, ist auch der vom Gesetzgebe­r erteilte Programmau­ftrag, unabhängig zu informiere­n, zu bilden und zu unterhalte­n, in Gefahr. Die Vorstellun­g, gerade das öffentlich-rechtliche Fernsehen würde sich vollends an der privaten Konkurrenz orientiere­n, ist eher schrecklic­h. Ein Blick in die TV-Zeitschrif­t reicht da aus. Natürlich sind auch private Medien in der Lage, Qualitätsj­ournalismu­s auf die Beine zu stellen – Dutzende Zeitungshä­user beweisen das täglich. Apparate aber wie die ARD, das ZDF und der Deutschlan­dfunk könnten sich heute privat wohl nur schwer behaupten. „Qualitätsj­ournalismu­s ist über den Markt nicht mehr finanzierb­ar“, sagt der Schweizer Medienwiss­enschaftle­r Vinzenz Wyss. Sein Resümee: „Das Mediensyst­em ist in Gefahr.“

So bleibt am Ende die Frage, was uns ein sowohl vom Diktat der Quote als auch politisch unabhängig­es Fernsehen wert ist. Wir leisten es uns, Theater, Opernhäuse­r und Museen zu subvention­ieren, weil wir an die gesellscha­ftsformend­e Kraft der Kultur glauben. Wir leisten es uns, einen öffentlich-rechtliche­n Rundfunk zu subvention­ieren, weil wir die Presse- und Meinungsfr­eiheit für ein schützensw­ertes Gut halten. Diskussion über Struktur des öffentlich-rechtliche­n Rundfunks? Unbedingt. Abschaffen? Ein klares Nein. Ob wir ihn uns aber auch in Zukunft leisten wollen, liegt in der Hand der Sender.

Insgesamt finanziere­n

die Beitragsza­hler 20 TV- und 67 Radioprogr­amme, dazu kommen

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