Römisches Roulette
Die Parlamentswahl in Italien wird wohl keinen klaren Gewinner hervorbringen. Ex-Premier Silvio Berlusconi ist dennoch siegessicher.
ROM Wahlen, Volksabstimmungen und Regierungskrisen in Italien lösten in den vergangenen Jahren einen kollektiven Reflex aus. Das Gespenst eines durch wirre politische Verhältnisse und Börsenspekulation ausgelösten Staatsbankrotts ging um, der sich weit über die nationalen Grenzen hinaus zu einer kontinentalen Krise auswirken könnte. So warnten Beobachter, Anleger und nicht zuletzt EU-Politiker stets vor den Gefahren einer Krise im Süden. Von diesen Unkenrufen ist vor der morgigen Parlamentswahl kaum noch etwas zu hören. Finanzexperten und Anleger reagieren auffällig gelassen auf das bevorstehende Chaos, als habe der fortwährende Alarmismus letztlich einer gefassten Routine Platz gemacht.
Die Ursache für die neue Gelassenheit im Umgang mit Italien hat ein paar handfeste Gründe, vollkommen rational ist sie nicht. Während noch vor Monaten der Sieg populistischer Kräfte bei einer ItalienWahl das angebliche Horrorszenario eines darauffolgenden EuroAustritts hervorrief, haben sich die italienischen Populisten in ihrer EU-Antipathie ein wenig beruhigt. Weder bei der als sicherer Wahlsieger geltenden systemkritischen Fünf-Sterne-Bewegung noch bei der rechtspopulistischen Lega Nord, die in einem Bündnis mit Silvio Berlusconi gewinnen könnte, ist der Euro-Austritt oder eine Volksabstimmung zum Thema noch aktuell. Man wolle neue Regeln für Europa erwirken, das schon, aber die Schocktherapie fiel klammheimlich unter den Tisch.
Berlusconi und die Fünf-SterneBewegung unter der Führung des Komikers Beppe Grillo verfolgen ähnliche Interessen. Beide wollen die milliardenschwere Pensionsreform von 2011 rückgängig machen und haben ein bedingungsloses Grundeinkommen angekündigt. Berlusconi versprach sogar, einen einheitlichen Steuersatz von 23 Prozent einzuführen, und führte sich auf, als seien die vergangenen zehn Jahre mit Sexskandalen, letztinstanzlicher Verurteilung wegen Steuerbetrugs und Ämterverbot nie gewesen. Aber Politiker bewegen sich in den von der Öffentlichkeit geduldeten Bahnen. Über den viermaligen Ex-Premier schütteln zwar viele den Kopf, ebenso viele Italiener wählen Berlusconi aber noch. Laut Umfragen kann seine Forza Italia morgen mit 16 Prozent der Stimmen rechnen. Das genügt, um ein entscheidender Faktor im Hasardspiel um die Macht in Rom zu bleiben.
Mit beinahe doppelt so vielen Stimmen wie Forza Italia können die Fünf Sterne und ihr 31-jähriger (jmm) Die italienische Wirtschaft erholt sich nur im Schneckentempo von den Folgen der Finanzkrise. Mit derzeit rund 1,5 Prozent Wirtschaftswachstum hechelt Italien immer noch sämtlichen EU-Volkswirtschaften hinterher, hat aber die Kurve aus der Rezession gekriegt. Die wirtschaftliche Gesamtsituation hat sich nach Jahren der Depression verbessert, gut ist sie deswegen aber noch lange nicht. Die Arbeitslosenquote ist so niedrig wie seit Jahren nicht, beträgt aber immer noch 10,8 Prozent. Vor Kurzem waren noch über 40 Prozent der italienischen Jugendlichen ohne Job, inzwischen sind es noch 32 Prozent. Spitzenkandidat Luigi Di Maio rechnen. Der zweifache Studienabbrecher und bisherige Vorsitzende des Abgeordnetenhauses stellte diese Woche bereits eine vor allem aus externen Spezialisten zusammengesetzte Regierungsmannschaft vor, darunter Wirtschaftswissenschaftler, Juristen, ein Olympiasieger und ein General. Den „Grillini“wurden zuletzt bis zu 28 Prozent der Stimmen prognostiziert, die Bewegung gilt schon vor der Abstimmung als Wahlsieger. Die Frage ist, was die Fünf Sterne, die sich bis heute jeder Art von Koalition verweigerten, mit diesem Kapital anfangen werden. Di Maio stellt in Aussicht, nach der
Die Reformen der drei sozialdemokratisch geführten Regierungen in der abgelaufenen Legislatur zeigten Wirkung. So entstanden durch die Liberalisierung des Arbeitsmarktes etwa eine Million neue Jobs, davon war allerdings nur die Hälfte unbefristet. Einigen gut gemeinten Versuchen des Abbaus der überbordenden Bürokratie stehen noch große Hindernisse gegenüber. Investitionen werden durch schleppende Kreditvergabe erschwert, dem Staat gehen weiterhin Milliarden aufgrund von Steuerhinterziehung durch die Lappen, die Langsamkeit der italienischen Justiz ist beinahe schon sprichwörtlich. Wahl einige konkrete Programmpunkte zu präsentieren, bei deren Verwirklichung sich andere politische Kräfte beteiligen könnten. Selbstverständlich unter ausschließlicher Regie der Fünf Sterne. Ob sich Parteien finden, die sich auf solches Glatteis führen lassen wollen, ist fraglich.
Eine anderes denkbares Szenario ist der Sieg der Mitte-rechts-Koalition aus Forza Italia, Lega Nord und der rechtsnationalen Fratelli d’Italia („Brüder Italiens“). Wenn das nicht passiert, rechnen Beobachter mit politischem Stillstand in Italien, der schließlich in eine Neuwahl münden könnte. Der Lega Nord von Par-
Das größte, aber oft in Vergessenheit geratene Manko Italiens ist hingegen die enorme Staatsverschuldung. Sie beträgt immer noch rund 2,3 Billionen Euro oder etwa 132 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Spätestens wenn die Europäische Zentralbank mit ihrem italienischen Chef Mario Draghi ihre expansive Geldpolitik mit massenhaften Anleihekäufen und niedrigen Zinsen einstellt, wird die Frage virulent, ob Italien die Kosten für seine Schulden selbst tragen kann. Das Schreckgespenst des drohenden Staatsbankrotts, der die gesamte Eurozone in Mitleidenschaft ziehen würde, ist dann schnell wieder zurück. teichef Matteo Salvini wurden zuletzt etwa 15 Prozent der Stimmen vorhergesagt, die „Brüder Italiens“können mit rund fünf Prozent rechnen.
Berlusconi, der sich zum Oberhaupt der Wahlkoalition aufgeschwungen hat und gerne seinen Intimus, den EU-Parlamentspräsidenten Antonio Tajani, als Premier installieren würde, schwadronierte bereits davon, bei einer Neuwahl in einem Jahr würde er dann selbst als Spitzenkandidat antreten. Bis dahin wäre sein Ämterverbot, das im Sommer 2019 endet, abgelaufen.
Science Fiction oder italienische Realität? Im Moment scheint vieles möglich südlich der Alpen. Möglicherweise führt an Berlusconis Forza Italia ab Montag tatsächlich kein Weg vorbei. Obwohl beide Lager eine erneute Kooperation ausgeschlossen haben, wäre es sogar keine Überraschung, wenn Berlusconis gemäßigte Rechte sich letztlich doch mit dem wegen innerer Grabenkämpfe angeschlagenen MitteLinks-Lager und der Demokratischen Partei von Premier Paolo Gentiloni und Parteichef Matteo Renzi zusammentun würde. Der Renzi-Partei wurden zuletzt rund 23 Prozent der Stimmen prognostiziert.
Wie schrieb doch Giuseppe Tomasi di Lampedusa in seinem 1958 posthum erschienenen Roman „Il Gattopardo“? „Wenn wir wollen, dass alles bleibt, wie es ist, dann muss sich alles ändern.“
Italiens Wirtschaft mit zartem Aufschwung