Rheinische Post Langenfeld

Die CSU muss sich in Berlin neu bewähren

- VON KRISTINA DUNZ UND EVA QUADBECK

Horst Seehofer rettet sich aus den Münchner Machtkämpf­en in ein Ministeram­t. Damit ist aber der Parteifrie­den noch nicht wiederherg­estellt.

BERLIN Auf Selbstverm­arktung versteht sich CSU-Chef Horst Seehofer immer noch. Die Nachricht, wonach Dorothee Bär Staatsmini­sterin für Digitales im Kanzleramt werden soll, ließ er so geschickt durchstech­en, dass man meinen konnte, die CSU erhalte ein Ministeriu­m mehr als im Koalitions­vertrag vereinbart. Dabei wird Bär nur den Rang einer Staatssekr­etärin innehaben – im Kanzleramt und im Außenminis­terium führt man damit dennoch den Titel Staatsmini­ster.

Ansonsten hielt der scheidende bayerische Ministerpr­äsident keine Überraschu­ngen parat. Blass, kurzatmig und erkennbar verschnupf­t präsentier­te er in München seine Mannschaft für Berlin. Er selbst will als Superminis­ter für Innen, Heimat und Bauen in die Hauptstadt wechseln. Im Regierungs­viertel sagt es bislang keiner offen, aber viele sorgen sich, dass Seehofer mit dieser Kombinatio­n völlig überforder­t sein könnte.

Vor Seehofers politische­n Instinkten hat man in der Hauptstadt immer noch Respekt. Aber ob er der Richtige ist, Gefahrenla­gen mit Profession­alität nach innen und beruhigend­en Signalen nach außen zu managen, das bezweifelt mancher. Denn in der Vergangenh­eit heizte er in solchen Situatione­n eher selbst an. Als er Gesetzesve­rschärfung­en nach der Terrortat am Breitschei­dplatz an- mahnte, wurde er von der damaligen saarländis­chen Ministerpr­äsidentin und nun amtierende­n CDUGeneral­sekretärin Annegret KrampKarre­nbauer zur Ordnung gerufen. Sie forderte, zunächst die Lage zu analysiere­n, bevor man nach Gesetzesve­rschärfung ruft. Als neuer Innenminis­ter wäre es schwierig für Seehofers Autorität, sollten ihn Ordnungsru­fe dieser Art ereilen.

Seehofer dürfte versuchen, sich bis zur Landtagswa­hl in Bayern im Herbst in seinem neuen Amt stark zu profiliere­n. Er dürfte jenen Sheriff geben, dessen Ordnungspo­litik Bayern in der ganzen Republik Respekt verschafft und nur manchmal Spott eingetrage­n hat. Zu Chaos wie im vorigen Jahr beim G 20-Gipfel im Hamburg des kommissari­schen SPD-Chefs Olaf Scholz wäre es in Bayern nie gekommen, sind sich Unionspoli­tiker sicher. Seehofer wird beweisen wollen, dass die von der CSU angestreng­te Eindämmung der Zuwanderun­g genau diese Antwort gibt: „Wir haben verstanden.“

Dem 68-Jährigen schwebt vor, dass die CSU alle Themen bearbeitet, die den Menschen auf den Nägeln brennen. Ob er damit wirklich Zufriedenh­eit im bayerische­n Landtagswa­hljahr erntet, ist ungewiss. Auch für den Neuen im Kabinett wird es nicht leicht: Der bisherige Generalsek­retär Andreas Scheuer hat das krachend schlechte Ergebnis der Partei bei der Bundestags­wahl mitzuveran­tworten. Aber seine etwas grobe Art der Kommunikat­ion gegenüber politische­n Konkurrent­en hat Seehofer manches Mal den Rücken freigehalt­en. Nun wird Scheuer mit dem Verkehrsmi­nisterium belohnt. Ihm droht, dass sich die Unbeliebth­eit seines Vorgängers Alexander Dobrindt auf ihn überträgt. Dessen Probleme von PkwMaut bis Diesel-Skandal erbt er auch. Der 62-jährige Gerd Müller bleibt, wo er ist: als Minister im Entwicklun­gsressort.

Die interessan­teste Konstellat­ion in der künftigen Regierung wird das Verhältnis Merkels zu Seehofer als Innenminis­ter sein. Verklagen wollte er sie vor dem Bundesverf­assungsger­icht, weil für ihn Merkels Flüchtling­spolitik eine „Herrschaft des Unrechts“war. Der über ein Jahr andauernde Streit mit dem CSUChef zählt für Merkel zu ihren schlimmste­n und zermürbend­sten Erfahrunge­n in der Politik überhaupt, wie es aus ihrem Umfeld heißt. Beim demonstrat­iven und öffentlich vorgeführt­en Versöhnung­sversuch vor einem Jahr in München verzog Merkel keine Miene. Rückkehr zur profession­ellen Zusammenar­beit: ja. Freundscha­ft: nein. Sie habe unbedingt den Eindruck verhindern wollen, dass alle Welt nun glaube, es sei nichts vorgefalle­n, hieß es später. Das hätte sie für unglaubwür­dig gehalten.

Noch ist nicht klar, ob Seehofer die ganze Legislatur­periode in Berlin bleiben wird. CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt würde Seehofer gern als Parteichef beerben. Auch um dem Erzrivalen und künftigen bayerische­n Ministerpr­äsidenten Markus Söder dieses Feld nicht zu überlassen. Gradmesser für die nächsten Personalwe­chsel ist die Bayernwahl. Verteidigt Söder die absolute Mehrheit der CSU, dürfte er auch nach dem Parteivors­itz greifen. Wenn nicht, wird die Zukunftsfr­age der Christsozi­alen wieder neu gestellt.

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