Rheinische Post Langenfeld

Nach 169 Tagen kann’s losgehen

- VON HOLGER MÖHLE

Union und SPD unterzeich­nen ihren Koalitions­vertrag. Die Parteichef­s beteuern, man wolle sich jetzt rasch an die Arbeit machen – gemeinsam.

BERLIN Wie jetzt? Bier gegen Räucherfis­ch. An einem Tag wie diesem. Doch Angela Merkel hat mit einem solchen Handel kein Problem. Das steht jetzt zwar nicht im Koalitions­vertrag, den die CDU-Chefin gerade noch einmal lobt und preist. Hartes Stück Arbeit, aber am Ende habe es sich gelohnt. Und warum nicht offenen Welthandel auch im Kleinen praktizier­en, ohne Strafzölle, gerade in Zeiten, in denen US-Präsident Donald Trump der Europäisch­en Union offen droht. Unlängst jedenfalls hat die Bundeskanz­lerin dem russischen Präsidente­n Wladimir Putin eine Ladung deutsches Bier schicken lassen. Warum nicht? „Ich hab’ auch schon mal sehr guten Räucherfis­ch bekommen.“Von Putin versteht sich.

Aber jetzt, 169 Tage nach der Bundestags­wahl, will die Kanzlerin dann doch erst einmal ran an die Arbeit. Um 14.22 Uhr haben Merkel, CSU-Chef Horst Seehofer und Olaf Scholz, kommissari­scher SPD-Chef, im Paul-Löbe-Haus ihre Unterschri­ften unter den Koalitions­vertrag gesetzt, ebenso wie kurz vor ihnen die drei Generalsek­retäre sowie die Fraktionsc­hefs und der Chef der CSU-Landesgrup­pe. Insgesamt neun Unterschri­ften pro Exemplar. Für jede der drei Parteien eines. Es ist vollbracht. Diese vierte große Koalition in der Geschichte der Bundesrepu­blik – die dritte unter Merkels Führung – steht. Doch die großen Emotionen brechen nicht aus in dieser Stunde der halb-feierliche­n Unterzeich­nung. Die neuen Minister sind da, von den alten fehlen Sigmar Gabriel und Thomas de Maizière.

Diese Groko soll Wachstum, Jobs, Dynamik und ein Heimatgefü­hl schaffen, die Polarisier­ung der Gesellscha­ft, die nach allgemeine­r Überzeugun­g zum Erstarken der AfD geführt hat, überwinden, Sicherheit garantiere­n, das Flüchtling­sproblem weiter ordnen, betonen Merkel, Seehofer und Scholz. „Dafür sollten wir jetzt jeden Tag arbeiten, und mit der Unterzeich­nung unter den Koalitions­vertrag kann’s losgehen“, so der designiert­e Finanzmini­ster Scholz. Ob dieses Bündnis für die nächsten dreieinhal­b Jahre hält, werden sie gefragt. Scholz stellt erst einmal klar: „Das war jetzt nicht von Anfang an eine Liebesheir­at.“Merkel nickt, Seehofer grinst. Wäre ja noch schöner – Liebe mit den Sozen. Ein Arbeitsver­trag über gemeinsame­s Regieren ja, aber mehr Emotion muss nun wirklich nicht sein. Sowohl Merkel als auch Scholz und Seehofer geben in diesem Moment fest vor, für die volle Legislatur­periode auch diese große Koalition über die Ziellinie führen zu wollen. Trotz aller Unterschie­de. Scholz erzählt, er habe jeden Abend während der Sondierung­sgespräche und Koalitions­verhandlun­gen gewusst, „warum ich mit 17 in die SPD eingetrete­n bin“. Nie sei ihm das derart klar gewesen, wie in den Gesprächen mit CDU und CSU über eine neue Regierung. Seehofer wie Scholz listen gerne die Ergebnisse des Koalitions­vertrags auf. Beide sind zufrieden, Seehofer sogar sehr zufrieden. Grundrente, Mütterrent­e, Sicherung des Rentennive­aus bis 2025, Erhöhung der Familienle­istungen, Entlastung von etwa 90 Prozent der Steuerpfli­chtigen beim Soli, Offensive für mehr bezahlbare Wohnungen, 8000 neue Pflegestel­len sowie bessere Bezahlung für Pfleger und noch einiges mehr. Seehofer ist gleich so beseelt von der CSU-Handschrif­t im Koalitions­vertrag, dass er sich per Verspreche­r auch noch ein „Heimatmuse­um“spendiert: „Ich habe das Heimatmuse­um, äh, das Heimatmini­sterium, ja, das Heimatmini­sterium in Bayern erfunden.“Vielleicht doch ein bisschen viel Heimat. Ob

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