Rheinische Post Langenfeld

Rechte und selbstgere­chte Literaten

- VON LOTHAR SCHRÖDER

LEIPZIG Die fiese Ecke der Leipziger Buchmesse findet sich hinten in Halle 3. Mit den Ständen des rechten Antaios-Verlags von Götz Kubitschek und gleich gegenüber mit der erheblich rechteren Stiftung Europa Terra Nostra – deren aktueller Spitzentit­el „Handbuch für die echten Rechten“sich der „Schicksals­frage“stellt, wie dem „kulturelle­n Niedergang der angestammt­en Völker“zu begegnen sei – wird das Areal zum politisch kontaminie­rten Gelände für alle Gutmeinend­en. Und die waren auf Buchmessen bislang nicht nur in der Mehrheit, sondern gefühlt auch stets unter sich.

Haben sich die Zeiten gewandelt? Die Erregtheit der jüngsten Debatten scheint das zu bestätigen, die Faktenlage nicht. Die in Leipzig an vielen Orten und zu diversen Gelegenhei­ten vorgetrage­nen Bekenntnis­se zur Meinungsfr­eiheit sind allesamt richtig, lauter und noch auf Jahre zitierfähi­g. Doch schleicht sich auf manchen Podien auch der Verdacht ein, dass all das ein Luxusprobl­em sein könnte.

Die Gefahr einer systemgefä­hrdenden Bedrohung unserer Rechtsordn­ung ist gering, die Zahl der Kassandrar­ufe dazu ist es längst nicht mehr. Aber vielleicht sollte man auch gar nicht darüber staunen, dass ein paar kleineren Anlässen ein derartiges Erregungsp­otenzial innewohnt. Unser Staunen sollte sich vielmehr der Frage widmen, warum es so lange so ruhig und der Betrieb nahezu störungsfr­ei geblieben ist.

Die Buchmesse in Leipzig trifft der Streit nicht überrasche­nd. Im weiten Vorfeld wurde darüber debattiert, ob es richtig sei, rechtsextr­eme Verlage überhaupt zuzulassen. In Leipzig traf man die gleiche Entscheidu­ng wie schon ein halbes Jahr zuvor in Frankfurt: Ja, eine Zensur findet nicht statt, auch auf die Gefahr, dass mit lautstärke­ren Demos und Gegendemos ungewohnte Töne angeschlag­en werden.

Den unmittelba­ren Prolog zur Bücherscha­u aber gab es im benachbart­en Dresden. Dort hatte Uwe Tellkamp in einem Streitgesp­räch mit Durs Grünbein die Flüchtling­spolitik hierzuland­e sowie den politische­n Islam kritisiert. Dabei sagte er, dass 95 Prozent der Migranten nicht vor Krieg und Verfolgung flöhen, sondern in deutsche Sozialsyst­eme einwandern wollten. Daraufhin wurde ihm die Nähe zur AfD und zur ausländerf­eindlichen Pegida-Bewegung attestiert.

Ausgerechn­et Tellkamp, der Vorzeige-Autor aus dem tiefen Osten. Tellkamp ist kein Akif Pirinçci, der frühere Katzenkrim­iautor und heutige PegidaRedn­er. Tellkamp hat vor zehn Jahren den deutschen Buchpreis bekommen für seinen Roman „Der Turm“, der all jene zufriedens­tellte, die so lange schon auf den deutschen Großroman vor und nach dem Mauerfall warteten. Und dann das. Suhrkamp reagierte umgehend und distanzier­te sich öffentlich von der politische­n Meinung des Autors. Aus Sicht des Verlags mag das ein Bekenntnis gewesen sein sowie eine Reminiszen­z an die 60er und 70er, als Suhrkamp der bundesrepu­blikanisch­en Debattenku­ltur seinen Namen gab. Doch es bleibt ein in der Branche ungewöhnli­cher und kommunikat­iv bedenklich­er Vorgang.

Die Leipziger Buchmesse konnte also gar nicht anders, als die politischs­te seit Jahren zu sein. Sie wäre es lieber nicht geworden. Schließlic­h geht es hier auch ums Geschäft. Und die Zahlen sind insgesamt nicht rosig. Von 2013 bis 2017 ist die Zahl der Buchkäufer in Deutschlan­d um 6,4 Millionen Leser zurückgega­ngen und jetzt bei 29,6 Millionen angekommen. Politische Debatten mögen zwar ein Beleg für Vitalität sein; Bestseller bringen sie nicht hervor.

Dass Buchhandel tatsächlic­h auch etwas mit Geschäft und Dienstleis­tung zu tun hat, mussten dann jene betonen, die davon leben und dennoch politisch nicht sprachlos sind. Kein Zensor wolle

Asne Seierstad man sein, auch kein Missionar, erklärte Susanne Dagen, die das Dresdner Buchhaus Loschwitz leitet und deshalb zu einer der bekanntest­en Buchhändle­rinnen wurde, weil sie bekennende AfD-Wählerin ist. Zwar verkaufe sie keine rechtsradi­kale Literatur; doch werden bei ihr zunehmend politische Bücher verlangt. Und da orientiere sie sich an den Wünschen der Kunden. Selbstvers­tändlich gehöre auch Rolf Peter Sieferles umstritten­es „Finis Germania“dazu, in dem Deutschlan­d – angeblich konfrontie­rt mit permanente­r Kollektivs­chuld – eine Opferrolle zugeschrie­ben wird. Auf der Messe wird dieses Buch beim Antaios-Verlag prominent beworben. Man muss viel aushalten bei diesen Debatten, etwa mit der Vergabe von Titeln: Durs Grünbein wird Gesinnungs­ethiker, Uwe Tellkamp hingegen Verantwort­ungsethike­r genannt.

Bei aller Diskussion­sfreude – mit wirklicher Kommunikat­ion hat das noch nicht viel zu tun. Etiketten werden wie Preisschil­der im Supermarkt vergeben, Gehege werden errichtet, in denen der eine oder die andere unterkommt. Das führt in Leipzig zu ungewohnte­n Schultersc­hlüssen: Während im Gewandhaus zur Eröffnung feierlich die Meinungsfr­eiheit beschworen und vor der Gefahr rechtsextr­emer Publizisti­k gewarnt wird, bläst die studentisc­he Jugend mit ihrer Demo auf dem Vorplatz bei kaltem Ostwind ins gleiche Horn. So viel Einklang war selten.

Das macht Distanzier­ungen und Ausgrenzun­gen leichter. Wie einfach es doch ist, einen Autor wie Uwe Tellkamp verbal zu vermöbeln, der gestern als Folge der Debatte um seine Person die für Norddeutsc­hland geplante Lesereise absagte. Und wie selbstgere­cht es scheint, alles vermeintli­ch Rechte, Unliebsame und Unbequeme zu diskrediti­eren. Doch echter Dialog ist nie die Vergewisse­rung der eigenen Meinung. Er kann schmerzen und kann auch unversöhnl­ich sein, doch wer ihn nicht führt, darf sich über Tendenzen der Radikalisi­erung nicht wundern. Ausgerechn­et am Antaios-Stand war dies großformat­ig zu lesen: „Die mit Schaum vorm Mund lesen, werfen gerne anderen vor, sie schreiben mit Schaum vorm Mund.“„Toleranz und Vielfalt“ließ der Börsenvere­in an allen Drehkreuze­n zur Messe kleben. Die Banalität deprimiert. Doch die Notwendigk­eit erschreckt.

Was bleibt? Vielleicht die Rede von Buchpreist­rägerin Asne Seierstad zur Eröffnung mit den Worten: „Wir müssen dafür kämpfen, den Bereich in der Mitte auszuweite­n, wo die komplexen, komplizier­ten, verwundbar­en Ideen von Toleranz und Verständni­s wohnen.“

„Wir müssen dafür

kämpfen, den Bereich in der Mitte

auszuweite­n“

Buchpreist­rägerin

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