Rheinische Post Langenfeld

Für Groko-Gegner kann es ungemütlic­h werden

- VON JAN DREBES FOTO: DPA

SPD-Abgeordnet­e, die gegen die große Koalition trommelten, werden angeblich intern sanktionie­rt. Die Fraktionss­pitze streitet das ab.

BERLIN Von Andrea Nahles sind viele ungeschlif­fene Sätze bekannt. Sie kann ruppig werden. Vor allem, wenn es um die Sache geht, um ihre Anliegen: Rente mit 63, Mindestloh­n und zuletzt die große Koalition. Hinter verschloss­enen Türen teilt Nahles aus und vor laufenden Kameras: „Verdammte Kacke“, „auf die Fresse“und „Bätschi“, die Rheinland-Pfälzerin beherrscht die gesamte Klaviatur markiger Rhetorik. Dafür wird die SPD-Fraktionsc­hefin geachtet und respektier­t, dafür wird sie aber auch gefürchtet.

Als Arbeitsmin­isterin setzte sie die Rente mit 63 und den Mindestloh­n durch, als neue starke Fraktionsc­hefin nach dem desolaten Bundestags­wahlergebn­is gewann sie auch das Mitglieder­votum für eine weitere große Koalition. Sie ist die große Gewinnerin in der SPD, das steht fest. Zumal sie nach dem Parteitag am 22. April nicht nur die Fraktion, sondern die gesamte Partei führen wird.

Doch abgehakt scheint die Sache intern noch nicht zu sein. In Kreisen sozialdemo­kratischer Abgeordnet­er kursieren Gerüchte, wonach nun vor allem jenen Fraktionsm­itgliedern Nachteile drohen, die gegen die große Koalition argumentie­rten und gestimmt haben. Es gebe durchaus Stimmen in der Fraktion, die die Haltung vertreten, dass Gegner der großen Koalition jetzt nicht belohnt werden dürften. Es geht dabei um Karrieren, um Perspektiv­en in der Fraktion, um die Vergabe von Ämtern und Posten in Ausschüsse­n und die Berücksich­tigung persönlich­er Wünsche. Wer was wird, bestimmt die Fraktionss­pitze.

Auf Nahles kommt es an. Als sehr widerspens­tig in der Debatte um die große Koalition zeigte sich die NRW-SPD. Und so werden gleich zwei nordrhein-westfälisc­he Abgeordnet­e als Beispiele genannt, die angeblich mit Nachteilen wegen ihrer Ablehnung der großen Koalition zu kämpfen hätten. Der Parteilink­e Marco Bülow ist einer von ihnen. Er sitzt seit 2002 für den Wahlkreis Dortmund im Bundestag und machte nie einen Hehl daraus, gegen die große Koalition zu sein. Er rief und schrieb dagegen an, trommelte ununterbro­chen, warnte stets davor, dass die SPD als erneuter Juniorpart­ner der Union vor die Hunde zu gehen drohe. Erneuerung sei in einer großen Koalition nicht möglich und ohne Erneuerung werde diese alte Partei immer weiter absacken, so sein Credo. Als es aber nun um die Besetzung des Umweltauss­chusses im Bundestag ging, wurde Bülow dieses Mal nicht berücksich­tigt. Von 2005 bis 2009 war er umweltpoli­tischer Sprecher der Fraktion, ab 2013 war er ordentlich­es Mitglied im Umweltauss­chuss. Jetzt wird er nur noch als stellvertr­etendes Mitglied geführt, stattdesse­n hat Bülow eine Position im weniger bedeutende­n Entwicklun­gsausschus­s übernommen. In der Frakti- on wird das als Sanktionie­rung gewertet, eine Bestätigun­g gibt es nicht dafür.

Die gerade erst direkt in den Bundestag gewählte Wiebke Esdar aus dem Wahlkreis Bielefeld/Gütersloh wird als weiteres Beispiel genannt. Sie soll sich für ein Amt im Parlamenta­rischen Untersuchu­ngsausschu­ss zum Fall Anis Amri stark gemacht haben. Und zunächst schien es wohl auch so, als könnte es klappen. Am Ende ging Esdar doch leer aus, jetzt sitzt die promoviert­e Psychologi­n im Ausschuss für Bildung und Forschung. Gerüchte, wonach das als Denkzettel für Esdars vehementes Eintreten gegen die große Koalition zu verstehen sei, weist die 34-Jährige zurück: „Dass ich im Amri-Untersuchu­ngsausschu­ss keine Funktion übernehmen werde, steht nicht in Zusammenha­ng mit meiner Ablehnung der großen Koalition“, sagte Esdar unserer Redaktion. „Das hat andere Gründe. Und das haben Andrea Nahles und ich einvernehm­lich geklärt“, fügte sie hinzu.

Offen ist derzeit noch die Vergabe des Vorsitzes im wichtigen Bundestags­ausschuss für Arbeit und Sozia- les, für den eigentlich Kerstin Griese aus NRW vorgesehen war. Griese wechselt jedoch als Staatssekr­etärin ins Arbeitsmin­isterium, die Stelle wird daher wieder frei. Diverse Abgeordnet­e machen sich Hoffnung auf den Posten, darunter auch erklärte Gegner der großen Koalition. Wer den Zuschlag bekommt, wird sich zeigen.

Dass aber die Haltung für oder gegen die große Koalition eine Rolle bei der Vergabe von Ämtern spielt, wird in der Fraktionsf­ührung vehement abgestritt­en. Das sei keine Kategorie. Viel mehr gebe es andere Gründe, die bei den Personalen­tscheidung­en wichtig seien. Und dabei verwundert es selbst Kritiker von Nahles nicht, dass die neue Fraktionsc­hefin jetzt auch intern ihren Machtanspr­uch geltend macht. „Ihr Vorgänger Thomas Oppermann war ein Kuschelted­dy dagegen“, scherzt ein Abgeordnet­er mit Blick auf ihren Führungsst­il. Dabei ist das als Kompliment gemeint. Nahles wird sich zu behaupten wissen, daran zweifelt niemand. Jetzt kommt ihre Zeit.

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Wer bekommt welche Posten? Auf SPD-Chefin Andrea Nahles kommt es an.

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