Rheinische Post Langenfeld

Der Kalte Krieg meldet sich zurück

- VON MATTHIAS BEERMANN

Die Vergiftung eines Ex-Spions auf britischem Boden und russische Hackerangr­iffe schweißen eine westliche Allianz zusammen.

LONDON/MOSKAU Ziemlich genau 24 Stunden hat es gedauert, bis zwischen London, Washington, Paris, Berlin und Brüssel etwas gewachsen ist, was in dieser Deutlichke­it nicht unbedingt zu erwarten war: eine gemeinsame Front gegen Russland. Während der Ton gegenüber Moskau in der Nervengift-Affäre rauer wurde, verhängten die USA Sanktionen gegen Russland wegen seiner Einmischun­g in den amerikanis­chen Präsidente­nwahlkampf.

Auslöser dieser Eskalation ist der Nervengift-Anschlag auf den früheren russischen Doppelagen­ten Sergej Skripal. Der 66-jährige Ex-Spion und seine Tochter waren Anfang des Monats im südenglisc­hen Salisbury bewusstlos gefunden worden. Sie kämpfen seitdem in einer Klinik um ihr Leben. Bei dem Anschlag wurde nach britischen Angaben eine extrem toxische Substanz eingesetzt, die das sowjetisch­e Militär in den 70er und 80er Jahren heimlich entwickelt hatte. London macht den Kreml verantwort­lich für den Mordversuc­h und wies 23 russische Diplomaten aus – so viele wie seit dem Ende des Kalten Kriegs nicht mehr. Russland kündigte umgehend Vergeltung für diesen Schritt an.

Doch erst gestern suchten die wichtigste­n westlichen Verbündete­n nach einer Phase eher lauer Solidaritä­tsbekundun­gen den engen Schultersc­hluss mit den Briten. Vor allem die USA hatten zuvor auffällig laviert. Präsident Donald Trump, der stets bemüht ist, harte Kritik an Russlands Präsident Wladimir Putin möglichst zu vermeiden, stellte sich nun ebenfalls hinter die britischen Vorwürfe gegen Russland. In einer gemeinsame­n Erklärung bezeichnet­en die Nato-Verbündete­n den Giftanschl­ag als einen Angriff auf die Souveränit­ät Großbritan­niens, der eindeutig die Bestimmung­en des Chemiewaff­enübereink­ommens und das Völkerrech­t verletzte.

Bereits am Mittwoch hatten alle 29 Nato-Mitglieder in einem Brief den Anschlag auf Skripal als „Angriff“qualifizie­rt und Moskau aufgeforde­rt, den Fall schnellstm­öglich aufzukläre­n. Die möglichen Folgen sind schwerwieg­end: Hätte der russische Staat tatsächlic­h einen Chemiewaff­enangriff auf dem Territoriu­m des Nato-Mitglieds Großbritan- nien angeordnet, könnte dies wenigstens theoretisc­h den Bündnisfal­l nach Artikel 5 des Nato-Vertrags auslösen. Das gilt derzeit aber als eher unwahrsche­inlich. Denkbar sind Beratungen nach Artikel 4 des Nato-Vertrags. Sie können beantragt werden, wenn ein Mitgliedst­aat seine Sicherheit bedroht sieht.

Viel hängt jetzt von der russischen Reaktion ab. Putin wird das Risiko einer weiteren Eskalation genau abwägen müssen – zumal gestern die USA unilateral gegen Russland vorgingen und wegen der mutmaßli- chen russischen Einflussna­hme auf die US-Präsidents­chaftswahl 2016 Sanktionen verhängten. Bereits im Sommer hatte der Kongress deswegen Moskau mit Strafen belegt.

Die neuen Maßnahmen richten sich gegen 19 Personen und fünf Organisati­onen. Betroffen sind unter anderem auch mehrere Mitarbeite­r des russischen Geheimdien­stes GRU. Er soll sich nach amerikanis­chen Erkenntnis­sen unter anderem mit Hackerangr­iffen in den Wahlkampf eingemisch­t haben, um dem Kandidaten Trump zu helfen und seine demokratis­che Konkurrent­in Hillary Clinton zu diskrediti­eren. Ein Sonderermi­ttler und mehrere Kongressau­sschüsse untersuche­n, ob es dabei auch geheime Absprachen mit Trumps Wahlkampft­eam gegeben hat.

US-Sicherheit­skreisen zufolge hat Russland zudem den Versuch unternomme­n, in die Steuerung des amerikanis­chen Elektrizit­ätsnetzes einzudring­en. Laut Washington waren russisches Militär und GRU auch direkt verantwort­lich für einen großen Cyberangri­ff, der im Juni 2017 Unternehme­n in Europa traf. Moskau bestreitet diese Vorwürfe ebenso wie jene im Fall Skripal und stellt sie als antirussis­che Kampagne dar. Das für den Anschlag verwendete Nervengift, so unterstell­en Offizielle in Moskau, stamme möglicherw­eise aus einem britischen Labor. Öffentlich fordert der Kreml Zugang zu den am Tatort genommenen Proben der Substanz und verlangt, an der Untersuchu­ng des Falls beteiligt zu werden.

In London sieht man darin aber vor allem ein Ablenkungs­manöver. Als warnendes Beispiel gilt die Instrument­alisierung der Organisati­on für ein Verbot chemischer Waffen (OPCW) durch Russland in Syrien. Die OPCW, die 2013 den Friedensno­belpreis erhielt, gilt als kompetent und integer. Als sie jedoch bei ihren, mit ausdrückli­cher russischer Zustimmung durchgefüh­rten Recherchen zum Einsatz von Chemiewaff­en in Syrien die Verantwort­ung dafür Truppen des Assad-Regimes zuwies, äußerte Moskau plötzlich Zweifel an der Unabhängig­keit der Untersuchu­ng.

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