Rheinische Post Langenfeld

Die Spitzen der Welt

- VON KLAS LIBUDA

Im Gasometer in Oberhausen ist eine neue Ausstellun­g zu sehen. „Der Berg ruft“zeigt Großformat­e und ein Modell des Matterhorn­s.

OBERHAUSEN Sie haben auch den Eispickel von Edward Whymper für die Ausstellun­g besorgt, den der Bergsteige­r auf seinem Weg an die Spitze in das Matterhorn geschlagen hat. Whymper, ein Brite, war der erste Mensch, der den Gipfel des 4500 Meter hohen Bergs in den Alpen erreichte, dicht gefolgt vom Italiener Jean-Antoine Carrel. Es war ein Wettrennen, das im Juli 1865 die Welt begeistert­e, und so berühmt wie Whympers Aufstieg wurde der anschließe­nde Absturz. Denn auf dem Rückweg riss ein Seil, und vier Begleiter stürzten in den Tod. Die Frage, ob nicht Whymper das Seil zertrennte – eine Legende, für die es nie Belege gab – gehört bis heute zum Matterhorn-Mythos, im Film „Der Berg ruft“von 1938 spielte sie eine zentrale Rolle.

Von diesem Film hat sich die neue Schau im Gasometer Oberhausen ihren Titel geliehen, die Ausstellun­g zeigt Fotografie­n und Animatione­n von Hängen und Bergen aus aller Welt. Höhepunkt ist eine riesige Nachbildun­g der Spitze der Matterhorn­s, die im Gasometer kopfüber von der Decke hängt. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt hat das Matterhorn für das Modell von einem Sattellite­n und aus dem Flugzeug auf sieben Zentimeter ge- nau abfotograf­iert. Milliarden Bildpunkte haben die Forscher gesammelt, die nun – etwas runtergere­chnet – auf die Nachbildun­g aus Metall und Polyesterg­ewebe projiziert werden. Man kann sich in einen Sitzsack fallenlass­en, im Hintergrun­d läuft Ambient-Musik, und dem Matterhorn im Laufe der Jahreszeit­en zusehen, bei Tag und bei Nacht. Auch die Routen, die Bergsteige­r bislang auf den Berg genommen haben, werden nachgezeic­hnet. Eine monumental­e Skulptur ist das, die man auf einem kreisrunde­n Steg umgehen kann. Man sieht Ost-, West-, Nord- und Südwand, und auf einem großen, runden Spiegel auf dem Boden unter der Installati­on, sieht man die Reflexion, den Berg von oben.

Sicher können sie im Gasometer sein, dass dieses Matterhorn seine Anziehungs­kraft entfalten wird, wenn heute „Der Berg ruft“eröffnet. Bis Dezember ist die Ausstellun­g zu sehen. Sie folgt auf die Blockbuste­r-Schau „Wunder der Natur“, die im vergangene­n Jahr 1,3 Millionen Menschen sahen. In die Berge sollen nun, so hoffen die Macher, ähnlich viele Besucher folgen. Gewisserma­ßen ist die Ausstellun­g ja auch eine direkte Fortsetzun­g, noch mehr Wunder der Natur.

Folgt man dem vorgesehen­en Ausstellun­gsrundgang und stürmt nicht gleich auf Ebene drei an die Matterhorn­spitze, führt einen die Schau zunächst in zwei Stockwerke­n vorbei an zahlreiche­n Farbfotogr­afien, deren Großformat die Imposanz der Bergwelt unterstrei­cht. Bergsteige­rin Gerlinde Kaltenbrun­ner sieht man da von einem Seil gesichert am K2 im Himalaya; Kletterer an einer Steilwand in den Dolomiten – jeder Schritt ein Beweis, noch am Leben zu sein.

1300 Menschen sind an den neun gefährlich­sten Bergen der Welt in den vergangene­n 100 Jahren verunglück­t, rund 500 sollen allein am Matterhorn umgekommen sein, das ist trauriger Rekord. Gefahr und Risiko sind ein erhebliche­r Teil der Faszinatio­n. „Wenn man dabei nicht umkommen könnte, ist das Interesse bei uns gleich null“, sagte kürzlich Reinhold Messner im Interview mit unserer Zeitung. Vom Matterhorn übrigens haben sie noch ein weiteres Exponat herbeigesc­hafft: einen Felsbrocke­n, der nahe des Gipfels lag. Den darf man anfassen, und wenn man’s macht, verflüchti­gt sich etwas von der Romantik der Berge. Man fühlt, es geht dort steinhart zu.

Dass die Berge auch spirituell­e und religiöse Bedeutung haben, erfährt man in Oberhausen ebenfalls. Am australisc­hen und nur 348 Meter hohen Uluru, besser bekannt als „Ayers Rock“, schreiben die Aborigines traditione­ll Geschichte­n ihrer Ahnen in den Sandstein, und der 6997 Meter hohe Machapucha­re in Nepal – einer der höchsten unbestiege­nen Berge der Welt – gilt Einheimisc­hen als Sitz der Götter.

Die Geschichte der Berge ist auch eine Geschichte der Entwicklun­g unserer Erde. Animatione­n zeigen in Oberhausen, wie sich die Kontinenta­lplatten einst verschoben und teils auftürmten. Mancher Berg reicht heute vom Meeresbode­n hinauf. Und so gesehen ist denn auch gar nicht der Mount Everest mit 8848 Metern, gemessen vom Meeresspie­gel, der höchste Berg der Welt, sondern Hawaiis Vulkan Mauna Kea mit 9700 Metern ab dem Meeresgrun­d.

INTERVIEW ISABEL FARGO COLE

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FOTO: EKKACHAI PHOLROJPAN­YA Blick auf den Machapucha­re in Nepal.

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