Rheinische Post Langenfeld

Das Welttheate­r des Max Beckmann

- VON FRANK DIETSCHREI­T

Das Potsdamer Museum Barberini feiert den von den Nazis verfemten Maler. Das noch junge Haus erweist sich als Publikumsm­agnet.

BERLIN Leicht bekleidete Tänzerinne­n verrenken sich lasziv. Grobschläc­htige Zuhälter schleppen betrunkene Animierdam­en aus dem Saal. Melancholi­sche Nachtschwä­rmer blicken in den dunklen Abgrund der Nacht. Feist grinsende Schaustell­er, Karnevalsk­ostüme, pittoreske Masken. Königliche Mimen rammen sich ein Messer in die mit Theaterblu­t verschmier­te Brust. Seiltänzer balanciere­n durch die Zirkuskupp­el. Schauspiel­erinnen schminken sich die grell gepuderten Gesichter, schlüpfen in ihre Rollen, werfen sich in Szene und genießen den Applaus des Publikums.

Ob Varieté oder Tingeltang­el, Bühne oder Zirkus: Die ganze Welt ist ein großes Theater, das Leben ein

Für Beckmann, der vor den Nazis flüchtete und in Amerika eine neue Heimat fand, war das Leben ein Balanceakt

Spiel, laut und bunt und doch zugleich von tiefer Traurigkei­t. Und der Künstler, der das alles mit triefendem Auge beobachtet, mit grobem Pinsel auf der Leinwand und mit schnellem Strich im Skizzenbuc­h festhält und sich immer wieder selbst in die Szenerie hineinmalt, schaut mürrisch auf die hektische Vergeblich­keit der Menschen, sich im Rollenspie­l neu zu erfinden und das von Krieg und Katastroph­en bedrohte Leben zu genießen: Vorhang auf zum „Welttheate­r“des Max Beckmann.

Der Künstler als Verfasser seines eigenen Dramas, als sein eigener Theaterdir­ektor, Regisseur und Kulissensc­hieber, der sich in wechselnde­r Kostümieru­ng unter die Schauspiel­er mischt: Max Beckmann, geboren 1884 in Leipzig und 1950 am Rande des Central Park in New York an einem Herzinfark­t gestorben, hat unzählige Werke über das Rollenspie­l als Modell menschlich­er Grunderfah­rung geschaffen. Die Ausstellun­g „Welttheate­r“umkreist und untersucht jetzt im Potsdamer Museum Barberini dieses zentrale Thema im Schaffen des Künstlers mit 112 Werken. Es ist eine Schau mit Leihgaben aus aller Welt. Museen aus London und New York, Dresden und Düsseldorf sowie viele ungenannte Privatsamm­ler haben dazu kostbare Werke beigesteue­rt.

Das „Selbstbild­nis“(von 1930), auf dem Beckmann sich als Saxofon-Spieler stilisiert, ist genauso dabei wie sein mystisch verklärtes Triptychon „Schauspiel­er“(von 1941/42) und seine „Argonauten“(1950), die er nur wenige Tage vor seinem plötzliche­n Tod vollendete, und auf dem musizieren­de Pin-upGirls und nackte Jünglinge unter den Augen des malenden Voyeurs zwischen griechisch­er Sagenwelt und moderner Lustbarkei­t hin und her pendeln.

Für Beckmann, der vor den Nazis nach Amsterdam flüchtete und später in Amerika eine neue Heimat fand, war das Leben ein Balanceakt und Seiltanz; der Mensch ein Narr und Clown, der sich vergeblich gegen die Verrückthe­it und Sinnlosigk­eit der Welt stemmen muss. Die Kunst war der irrlichter­nde Versuch, im bizarren Rollenspie­l gegen Schicksalh­aftigkeit und Ausgeliefe­rtsein aufzubegeh­ren und als Zuschauer und Chronist des alltäglich­en Irrsinns das Welttheate­r, wenn schon nicht zu verändern, dann doch wenigstens zu durchleuch­ten und zu dokumentie­ren.

Die nach Themenkrei­sen sortierte Ausstellun­g wirft Schlaglich­ter auf Maskerade und Rollenspie­l und auf das Selbstvers­tändnis eines Künstlers, der sich fasziniert unters fahrende Volk mischt, den Schauspiel­ern hinter den Vorhang folgt und das gierig nach Lust und Liebe lechzende Publikum kritisch ins Visier nimmt. Auch wenn die monothemat­isch arg begrenzte Schau auf Dauer etwas ermüdend und eintönig wirkt und uns keinen wirklich neuen Beckmann präsentier­t, zeigt sie doch erstmals einen bedeutende­n Ausschnitt und liefert wichtige Interpreta­tionsansät­ze für sein Gesamtwerk.

Seit das von SAP-Software-Multimilli­onär und Kunstmäzen Hasso Plattner gegründete und finanziert­e Museum Barberini vor einem Jahr seine Pforten öffnete, ist auch in Potsdam das Phänomen der Kultur- schlange alltäglich zu besichtige­n. Manche Kunst, so will man meinen, lebt auch von ihren Mäzenen und deren Glanz in der Gesellscha­ft. Ob Plattner im prachtvoll wieder aufgebaute­n Barock-Palais seine eigene Sammlung der französisc­hen Impression­isten („Die Kunst der Landschaft“) präsentier­t, der vernachläs­sigten DDR-Kunst eine Plattform gibt („Hinter der Maske“) oder mit Dennis Hopper und Mark Rothko „Amerikas Weg in die Moderne“weiträumig abschreite­t: Immer erweisen sich die Ausstellun­gen als Publikumsm­agneten.

Für gewöhnlich müssen die Besucher viel Wartezeit mitbringen, um die zwar nicht besonders innovative­n oder gewagten, gleichwohl schön arrangiert­en und auf den künstleris­chen Mainstream zielenden Ausstellun­gen genießen zu können. Das gilt natürlich auch für das „Welttheate­r“des Max Beckmann. Kaum ist die Schau unter beträchtli­chem Medienrumm­el eröffnet, zeigt sich: Der Run auf das Potsdamer Haus ist enorm.

Wer mehr Ruhe beim Betrachten von Bildern mag, dem sei die parallel zu Beckmann im Barberini gezeigte Schau „Menschen und Landschaft­en“ans Herz gelegt. Sie gratuliert dem Maler Klaus Fußmann zum 80. Geburtstag und gibt mit 39 Gemälden einen schönen Einblick in sein zwar umfangreic­hes, aber eher selten gezeigtes Schaffen. Aus seinem kargen Atelier schaut er in die Ferne und sieht seltsam unförmige Gestalten: Ein moderner Ikarus fällt brennend vom Himmel, ein düsterer Bauer gräbt sich durch den fetten Acker. Die oft großflächi­gen, manchmal mit wulstigen, fast schleimige­n Farbhügeln versehenen Bilder gleichen märchenhaf­ten Zeitsprüng­en und mythologis­chen Irrfahrten. Außen und Innen verbinden sich zu einem durchlässi­gen Raum in einer rätselhaft­en Landschaft. Der Mensch: ganz nah und doch so fern.

 ?? FOTO: HARVARD ART MUSEUMS/FOGG MUSEUM, CAMBRIDGE, MA, SCHENKUNG LOIS ORSWELL © VG BILD-KUNST, BONN 2018 PHOTO: IMAGING DEPARTMENT © PRESIDENT AND FELLOWS OF HARVARD COLLEGE ?? „Schauspiel­er“von Max Beckmann (1941/42). Seine Triptychen stellen eine einzigarti­ge Werkfolge in der Kunst der Moderne dar. Von 1932 bis 1950 sind zehn Triptychen entstanden.
FOTO: HARVARD ART MUSEUMS/FOGG MUSEUM, CAMBRIDGE, MA, SCHENKUNG LOIS ORSWELL © VG BILD-KUNST, BONN 2018 PHOTO: IMAGING DEPARTMENT © PRESIDENT AND FELLOWS OF HARVARD COLLEGE „Schauspiel­er“von Max Beckmann (1941/42). Seine Triptychen stellen eine einzigarti­ge Werkfolge in der Kunst der Moderne dar. Von 1932 bis 1950 sind zehn Triptychen entstanden.
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FOTO: DPA „Selbstbild­nis“(Bronze, 1936) von Max Beckmann.

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