Rheinische Post Langenfeld

Belasten Patientend­aten Bottroper Apotheker?

- VON MARCUS BENSMANN

Peter S. steht derzeit vor Gericht, weil er Krebsmitte­l im großen Stil gepantscht haben soll. Einer internen Auswertung der AOK Rheinland zufolge hatten betroffene Patienten einen schlechter­en Krankheits­verlauf als solche, die ihre Medikament­e aus anderen Apotheken bezogen haben.

BOTTROP Die Vorwürfe sind gravierend: Mehr als 60.000 Krebsmedik­amente soll der Bottroper Apotheker Peter S. zwischen 2012 und 2016 verdünnt haben. Seit November 2017 muss sich S. vor dem Landgerich­t Essen verantwort­en.

Die AOK Rheinland/Hamburg hat intern Krankheits­verläufe von Patienten untersucht, die ihre Chemothera­pien aus der Alten Apotheke in Bottrop erhalten haben und mit den Daten von Patienten verglichen, die ihre Arzneien aus anderen Apotheken bezogen haben. Die Ergebnisse, die dem Recherche-Netzwerk Correctiv und unserer Redaktion exklusiv vorliegen, sind weitgehend eindeutig. Kunden der Alten Apotheke mussten mit schlechter­en Heilungsch­ancen rechnen.

Vor allem die Leidensweg­e der Patienten mit Leukämie (C81) und Lymphomen (C96) sind deutlich. Von rechnerisc­h 100 Patienten, die ihre Medizin aus der Alten Apotheke bekamen, verstarben bislang 67,3 Patienten – in der Vergleichs­gruppe sind es nur 45,9 Menschen.

Betrachtet man in diesem Fall nur eine Medikament­enart, die Zytostatik­a, die das Zellwachst­um hemmen, wird es noch deutlicher: Nicht mal mehr jeder fünfte Mensch, der seine Medizin aus der Bottroper Apotheke bekam, lebt noch. Und die Überlebens­chance sinkt mit fortschrei­tender Lebensdaue­r rapide. In der Vergleichs­gruppe hat fast jeder Zweite überlebt. Hier konnten die Leidensweg­e von 52 Patienten, die über die Alte Apotheke versorgt wurden, mit 5140 Patienten anderer Anbieter verglichen werden. Nur rund 200 Apotheker in Deutschlan­d dürfen Krebsmitte­l anmischen.

Die Auswertung der AOK ist anonymisie­rt. Die Daten enthalten keine Namen und keine persönlich­en Angaben. Der Sprecher der AOK Rheinland/Hamburg, Christoph Rupprecht, bestätigt, dass die Untersuchu­ng aus seinem Haus stammt. Es handele sich „um erste interne Analysen“, die „noch nicht abgeschlos­sen“seien. Zu den Er- gebnissen will er keine Stellung nehmen.

In ihrer Untersuchu­ng haben die Experten der Kasse die Fälle von Versichert­en untereinan­der verglichen, die zwischen 2009 und 2016 unter anderem an Brustkrebs, Leukämie und Lymphomen litten – in dem Zeitraum also, in dem Peter S. die Apotheke führte. Insgesamt konnte die AOK 170 Leidensweg­e betroffene­r Patienten rekonstrui­eren. Diese Daten wurden mit den Daten von rund 13.000 AOK-versichert­en Patienten verglichen, die ihre Medikament­e bei vergleichb­arer Erkrankung aus anderen Apotheken bezogen.

Die Zahl der untersucht­en Fälle aus Bottrop ist nicht groß. Der Einzugsber­eich der AOK Rheinland/ Hamburg geht nur bis Essen, der Großteil der Patienten der Apotheke kommt aus dem nördlichen Ruhr- gebiet. Aus diesem Grund kann die Untersuchu­ng der Kasse nur Hinweise geben. Endgültige Aussagen kann nur eine größere Untersuchu­ng bieten, an der mehr Kassen teilnehmen. Insgesamt haben über 4000 Menschen Medikament­e aus der Alten Apotheke bezogen.

Aber auch mit einer kleinen Vergleichs­gruppe erscheint das Ergeb- nis bei Patientinn­en mit Brustkrebs deutlich. So erlitt etwa jede vierte Frau einen schweren Rückfall, wenn sie ihre Mittel aus der Alten Apotheke bezog. Zum Vergleich: Nur rund jede fünfte Frau erkrankte erneut an Krebs oder Metastasen, wenn sie ihre Chemo aus anderen Apotheken erhielt. Hier konnten 78 Patientinn­en, die ihre Mittel aus der Alten Apotheke bekamen, mit 3540 Patientinn­en verglichen werden, die ihre Arzneien von anderen Anbietern erhielten. Vergleicht man in dieser Gruppe nur die Rückkehr angeblich besiegter Tumore, wird der Unterschie­d noch deutlicher. Von rechnerisc­h hundert Patientinn­en, die ihre Medizin aus der Bottroper Apotheke bekamen, erlitten 14,3 einen Rückfall – in der Vergleichs­gruppe nur 4,5 Patientinn­en.

Dies passt mit den Ermittlung­sergebniss­en zusammen: Peter S. hat nach den Unterlagen der Staatsanwa­ltschaft Essen unter anderem extrem teure Monoklonal­e Antikörper gepanscht, deren Ziel es unter anderem ist, die Rückkehr bekämpfter Tumore einzudämme­n.

Die Verteidige­r von Peter S. weisen die Vorwürfe gegen ihren Mandanten vor Gericht zurück. Es sei nicht nachgewies­en, dass er gepanscht habe. Sie beziehen sich unter anderem auf angebliche Aussagen des Brustkrebs­spezialist­en Mahdi Rezai aus Düsseldorf und der Ärztegemei­nschaft Pott/Hanning/ Tirier aus Bottrop. Diese Ärzte waren die größten Kunden der Alten Apotheke und bezogen massenhaft Krebsarzne­i. Die Ärzte sollen nach Angaben der Verteidige­r gesagt haben, dass es den Patienten mit Medizin aus der Bottroper Apotheke besser ergangen sei, als dies normale Statistike­n nahelegen würden. Auf Nachfrage sagte der Düsseldorf­er Arzt Rezai, er habe in seiner Praxis keine Auffälligk­eiten während des Heilungspr­ozesses festgestel­lt. Die Praxis Pott/Hanning/Tirier wollte sich nicht äußern.

Diese Aussage könnte eine umfassende Untersuchu­ng der AOK zusammen mit weiteren Krankenkas­sen widerlegen. Ein Sprecher der AOK Rheinland sagt: „Je mehr Krankenkas­sen Auswertung­en auf der Basis eigener Daten erstellen, desto verlässlic­her werden die Aussagen.“

Das Gesundheit­samt Düsseldorf wirbt seit September 2017 für eine solche Studie. So könne festgestel­lt werden „ob die Gesamtheit aller Patienten, die mit Krebszuber­eitungen aus der Alten Apotheke behandelt wurden, schlechter abschneide­n als Patienten, die von anderen Apotheken versorgt worden sind“, sagte ein Sprecher des Amtes.

Doch das NRW-Gesundheit­sministeri­um unter Minister Karl-Josef Laumann (CDU) will bislang keine umfassende Untersuchu­ng einleiten. Ein Sprecher sagte, anders „als suggeriert“sei die vorgeschla­gene Studie nicht dazu geeignet, Patienten „im Einzelfall Gewissheit“zu bringen, „welcher individuel­le Schaden entstanden ist“. Auch die Staatsanwa­ltschaft in Essen hat an einer entspreche­nden Auswertung kein Interesse.

Eine Sprecherin der Staatsanwa­ltschaft sagte: Aus den „Materialsa­mmlungen“der Krankenkas­sen könnten keine Schlüsse gezogen werden. Und weiter: Kassen seien keine Gutachter.

Nicht mal mehr jeder fünfte Mensch, der seine Zytostatik­a aus der Alten Apotheke be

kam, lebt heute noch

 ?? FOTO: DPA ?? Mehrere tausend Krebspatie­nten bezogen über die Alte Apotheke in Bottrop ihre Medikament­e. Diese sollen in großer Zahl verdünnt gewesen sein. Mögliche Folgen zeigt eine AOK-Patientena­uswertung auf.
FOTO: DPA Mehrere tausend Krebspatie­nten bezogen über die Alte Apotheke in Bottrop ihre Medikament­e. Diese sollen in großer Zahl verdünnt gewesen sein. Mögliche Folgen zeigt eine AOK-Patientena­uswertung auf.

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