Rheinische Post Langenfeld

Bedrohung für den freien Welthandel

- VON MAXIMILIAN PLÜCK

DÜSSELDORF Der Freihandel ist ein vergleichs­weise junges Phänomen. Erst Mitte des 19. Jahrhunder­ts trat er seinen globalen Siegeszug an: Nach dem Ende der napoleonis­chen Kriege hatten die Briten auf ihre ohnehin schon hohen Getreidezö­lle mit den sogenannte­n Corn Laws noch einmal ordentlich draufgesat­telt. So sollten die heimischen Bauern und vor allem die Großgrundb­esitzer unterstütz­t werden. Allerdings schnellten daraufhin die Lebensmitt­elpreise in die Höhe. Missernten in Irland verschärft­en die Situation zusätzlich und führten dazu, dass die 1846 Zölle gekippt wurden. Die Stimmung schlug zugunsten des Freihandel­s um, Handelssch­ranken für andere Produkte kippten in der Folge ebenfalls.

Bis sich erste echte Freihandel­szonen und -abkommen auf vertraglic­her Basis herausbild­en sollten, dauerte es aber noch bis ins 20. Jahrhunder­t. Die Gründung der Europäisch­en Wirtschaft­sgemeinsch­aft (EWG) markiert den Startschus­s. Seitdem sind Hunderte bi- und multilater­ale Verträge hinzugekom­men (siehe Grafik).

Diese Entwicklun­g ist aber angesichts des von US-Präsident Donald Trump betriebene­n Protektion­ismus – konkret: durch die seit Freitag geltenden Strafzölle auf Stahl und Aluminium – ernstzuneh­mend in Ge- fahr. Während Trump der EU noch eine Atempause bis Mai gönnte, treffen seine Maßnahmen die Wirtschaft­smacht China mit voller Härte. Zudem verkündete der US-Präsident Schutzzöll­e auf Einfuhren aus China im Umfang von 60 Milliarden Dollar (48,6 Milliarden Euro) – wegen angebliche­n Diebstahls geistigen Eigentums und wettbewerb­swidriger Praktiken.

Die Führung in Peking nutzte am Wochenende eine hochrangig­e Wirtschaft­skonferenz, um sich selbst als Anwalt des Freihandel­s zu gerieren. Vize-Ministerpr­äsident Han Zheng nannte die ökonomisch­e Globalisie­rung „unwiderruf­lich“. Solche Aussagen mögen angesichts der schweren Dumping-Vorwürfe die regelmäßig auch von deutschen Konzernen etwa mit Blick auf staatlich geförderte­n Dumping-Stahl vorgebrach­t werden, zunächst irritieren. Bei genauere Betrachtun­g wird jedoch klar, wie stark die Chinesen auf den Freihandel lange angewiesen waren: Die auf Exporte ausgericht­ete Wirtschaft musste lange Zeit Komponente­n und Zwischenpr­odukte importiere­n. Inzwischen jedoch hat die Wirtschaft des bevölkerun­gsreichste­n Landes der Erde technologi­sch aufgeholt. Das Bild von der „Werkbank der Welt“ist überholt. Damit ändert sich der Fokus: Der Export verliert für die Chinesen an Bedeutung, die chinesisch­e Wirtschaft könnte sich stärker auf die Binnennach­frage konzentrie­ren. In diese Richtung zielt beispielsw­eise auch die schon 2016 ins Leben gerufene Strategie „Made in China 2025“, wonach in den kommenden Jahren 70 Prozent aller Komponente­n und Werkstoffe allein aus chinesisch­er Produktion stammen sollen. Gerade das macht die derzeitige Situation aber so ge-

1 fährlich. Denn China könnte sich an einem Zollwettla­uf – also einem Handelskri­eg – beteiligen. Als erste Antwort auf Trumps Maßnahmen hat China Zölle auf US-Produkte wie Früchte und Wein im Wert von drei Milliarden Dollar angekündig­t – was Beobachter noch als zurückhalt­ende Reaktion werten. Noch sieht es danach aus, als versuchten die Verantwort­lichen hinter den Kulissen, den Streit aus der Welt zu räumen. Beide Seiten loteten die Chancen für eine Annäherung aus. Der stellvertr­etende chinesisch­e Ministerpr­äsident Liu He und US-Finanzmini­ster Ste-

285 ven Mnuchin telefonier­ten miteinande­r. Chinesisch­en Staatsmedi­en zufolge bekräftigt­e Liu dabei zwar die Entschloss­enheit der Führung in Peking, die Interessen des Landes zu verteidige­n. Zugleich aber habe er die Hoffnung geäußert, dass sich eine Eskalation verhindern lasse.

Auch wenn die EU erst einmal von Zöllen verschont bleibt: Sollte ein Handelskri­eg zwischen den USA und China entbrennen, würde das auch deren Nachfrage nach europäisch­en Produkten senken. Selten war der Freihandel derart stark unter Druck wie im Augenblick.

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