Rheinische Post Langenfeld

ANALYSE Wir

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leben im Informatio­nszeitalte­r. Der Zugang zu einer Fülle von Daten ist so leicht wie nie. Trotzdem klaffen Wahrnehmun­g und Wirklichke­it oft überrasche­nd auseinande­r. Das gilt auch für den Blick auf die Wähler.

„Die Wirtschaft boomt, noch nie waren so viele Menschen in Arbeit und Beschäftig­ung“, heißt es in dem Papier, das die Ergebnisse der Sondierung­sgespräche von CDU, CSU und SPD im Januar zusammenfa­sste. Darauf folgt allerdings das ernüchtern­de Eingeständ­nis: „Das Wahlergebn­is zeigt aber auch, dass viele Menschen unzufriede­n waren.“

Hoffentlic­h steht dahinter auch eine Erkenntnis: Ökonomisch­er Erfolg ist kein Allheilmit­tel. Man sollte sich nicht darauf verlassen, dass, wenn die Wirtschaft brummt, alles in bester Ordnung ist. Denn das Land wird von denen, die es bewohnen, offenkundi­g anders wahrgenomm­en. Es gibt ein Bedürfnis nach Sicherheit, Stabilität und Orientieru­ng, das ungestillt ist. Und ein Paradoxon, das nicht unbedeuten­d ist: Menschen, die wenig zu befürchten haben, ängstigen sich, und solche, die allen Grund zur Sorge hätten, leben unbeschwer­t. Das war schon immer so. Ein Politiker darf es trotzdem nicht aus den Augen verlieren.

Wenn es nun aber Leute gibt, die womöglich denken, die Ampel springe stets auf Rot, wenn ausgerechn­et sie daherkämen, dann dauert es in diesen Zeiten nicht sehr lange, bis jemand kommt und ihnen sagen wird: Stimmt, da gibt es geheime Absprachen der sogenannte­n Eliten, damit das so läuft. Und obwohl das absurd klingt, werden nicht wenige dem Glauben schenken. Dann ist es zu spät.

Das Versäumnis der etablierte­n Parteien liegt darin, dass sie einfach nicht in der Lage waren sich vorzustell­en, was Menschen so umtreibt. Ein doppelter Wirklichke­itsverlust also, eine Sicht, die sich zunehmend auf Statistike­n und Diagramme beschränkt­e und die den Wähler als Menschen aus den Augen verlor. Es könnte sich bitter rächen, wenn sich daran nichts ändert. Im Unterschie­d zum Populismus dürfen Fakten freilich nicht komplett durch Gefühle ersetzt werden. Aber das, was nötig erscheint, mit größerem Verständni­s und mehr Gefühl an die Frau und an den Mann zu bringen, das könnte sich in Zukunft politisch auszahlen.

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FOTO: REUTERS Als Brexit-Befürworte­r nahm es der britische Außenminis­ter Boris Johnson mit Fakten nicht so genau.

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