Rheinische Post Langenfeld

Trump lässt Amerikas Stahlarbei­ter hoffen

- VON FRANK HERRMANN FOTO: DPA

Im „Steel Country“rund um Pittsburgh sind sie dem Präsidente­n dankbar für seine Schutzzoll-Politik – weil endlich etwas geschieht.

PITTSBURGH Tim Waters ist anzumerken, in welche Gewissensk­onflikte ihn die Frage stürzt. So souverän er bis dahin geklungen hatte, so flüssig ihm die Sätze über die Lippen gekommen waren, an diesem Punkt ringt er mit sich. Ob er Donald Trump unterstütz­e? „Nun ja“, sagt er nach einer Pause, „wir unterstütz­en seine Entscheidu­ng.“Es gehe doch nicht um die Person, es gehe um Jobs, amerikanis­che Jobs. „Also, wenn Sie mich so direkt fragen, ja, ich applaudier­e dem Präsidente­n für das, was er macht.“

Ein Dienstagab­end im März. Im flaggenges­chmückten Saal eines nagelneuen Hotels in Canonsburg, einer Kleinstadt im Vorortgürt­el von Pittsburgh, drückt Waters einem Mann die Daumen, der nun gerade dazu beitragen möchte, dass Trump die Grenzen aufgezeigt werden. Conor Lamb, bekennende­r Katholik, einst Soldat der Marineinfa­nterie, will den Republikan­ern eine ihrer Hochburgen abnehmen, einen Wahlkreis im Südwestzip­fel Pennsylvan­ias. Das Kunststück gelingt ihm tatsächlic­h, wie sich, da es auf Messers Schneide steht, erst ein paar Tage nach dem Votum herausstel­len wird. Aber an dem Abend ist noch alles offen, und allein schon die fiebrige Nervosität, mit der Tim Waters jede neue Wendung des Auszählung­skrimis verfolgt, lässt erkennen, wie innig er den Konservati­ven eine Niederlage wünscht.

Waters ist politische­r Direktor der United Steelworke­rs‘ Union, der Gewerkscha­ft der Stahlarbei­ter. Streng zurückgekä­mmtes Haar, randlose Brille, ein sachlicher Typ. Einer, der sich seit jeher für die Demokratis­che Partei ins Zeug legt. Der Wähler anruft, Klinken putzt, Flugblätte­r verteilt, wenn das Rennen ums Oval Office alle vier Jahre seinen Einsatz erfordert. 2016 rieb er sich auf für Hillary Clinton, etwas anderes kam für ihn gar nicht infrage. „Aber Trump“, sagt er, „hat getan, was schon lange getan werden musste. Er hat eine Linie in den Sand gezogen. Bis hierher und nicht weiter.“

Mit der Linie sind die Importzöll­e auf Stahl und Aluminium gemeint, in Waters‘ Augen überfällig, um zu retten, was noch zu retten ist. „Erst haben wir unsere Textilindu­strie aufgegeben“, schimpft er, „dann unsere Schuhindus­trie, unsere Reifenindu­strie und die Möbelherst­ellung, jetzt ist die Glasbranch­e bedroht, und bei Plastik und Papier sieht es kaum besser aus.“Etwas müsse geschehen, sonst gehe es in diesem Stil weiter, bis es bald auch keine Hochöfen mehr gebe. Jedenfalls nicht im Steel Country, in den Tälern rings um Pittsburgh. Und wenn es nun auf einen weltweiten Handelskri­eg hinausläuf­t? Diesmal kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen. „Wissen Sie was“, erwidert Waters, „das hören wir nun schon seit vierzig Jahren.“Man könne leider nichts tun, sonst drohe eine Eskalation. Das Argument sei so alt wie ein Paar ausgetrete­ner Schuhe. Es beeindruck­e ihn nicht.

Richard Trumka, Chef des Gewerkscha­ftsdachver­bands AFLCIO, sieht es ähnlich. Auch er hat die Stahlzölle gelobt, als angemessen­en Schritt gegen „räuberisch­e Praktiken“, die Unternehme­n, die noch in Amerika produziert­en, ins Hintertref­fen geraten ließen. Der Demokrat Sherrod Brown, ein Senator aus Ohio, dem westlichen Nachbarsta­at Pennsylvan­ias, spricht von einer klaren Botschaft an die Handelspar­tner – vor allem an China, während man europäisch­en Verbündete­n Ausnahmen zugestehen könne. „Wir lassen nicht mehr zu, dass sie Amerikaner betrügen und ihnen ihre Arbeitsplä­tze stehlen“, schrieb er in einer Zeitungsko­lumne. Die Skeptiker fragten immer nur nach den Kosten solcher Aktionen, so Brown. „Aber wir haben uns viel zu lange viel zu wenig darum gekümmert, was es uns kostet, wenn wir nur zuschauen.“

Dass Trump die Wahlgeogra­fie der Vereinigte­n Staaten im Auge hatte, als er die Zölle ankündigte, liegt auf der Hand. Vier Staaten im Rostgürtel der alten Industrie – Michigan, Ohio, Pennsylvan­ia und Wisconsin – gaben, es ist oft beschriebe­n worden, den Ausschlag für seinen Sieg gegen Clinton. Hält ihm die Arbeitersc­haft dieser vier Staaten die Treue, könnten die Republikan­er im November vielleicht ihre Mehrheit im Kongress verteidige­n, dann könnte er ungebremst weiterregi­eren. Lamb, der übrigens auch nichts gegen Zollschran­ken hat, macht mit seinem Erfolg wiederum deutlich, wie schnell sich der Wind drehen kann. Und genau das, orakeln manche, könnte Trump anstacheln, den ersten protektion­istischen Schritten weitere folgen zu lassen. Schon um seiner Klientel das Gefühl zu geben, dass er sich kümmert. Um im Herbst die Blamage abzuwenden.

Donald Trump, der Arbeiterfü­hrer? Der Milliardär aus New York als Interessen­vertreter der „blue-collar guys“, wie Leute, die im Blaumann zur Schicht erscheinen, in Amerika genannt werden? Joe Spanik, Demokrat wie Waters, bis vor drei Jahren Landrat im Beaver County, einem Gemeindebe­zirk am Rande Pittsburgh­s, dann abgewählt, sieht es differenzi­erter. Einerseits erinnert er sich noch gut an die Welle der Wut, die auch ihm entgegensc­hwappte, als er für Clinton Wahl-

Tim Waters kampf machte. „Die Leute hatten einfach die Nase voll von Politikern alter Schule.“Doch neuerdings glaubt Spanik, Anzeichen einer Wende zu erkennen. Etliche seiner Nachbarn, erzählt er, hätten 2016 noch ihre helle Freude gehabt an Trump, dem rebellisch­en Entertaine­r mit seinen Showeinlag­en und der gegen den Strich der Political Correctnes­s bürstenden Sprache. Doch einigen werde es langsam peinlich. „Sie wollen einen Präsidente­n, der sich benimmt wie ein Präsident.“

Den Hotelklotz in Canonsburg gab es vor ein paar Jahren noch nicht, genauso wenig wie die Bürowürfel ringsum. Seit mittels Fracking zuvor unerschlos­senes Erdgas gefördert wird, erlebt der Landstrich einen kleinen Wirtschaft­sboom. Ohnehin kann man nicht sagen, dass der Südwesten Pennsylvan­ias eine chronische Krisenregi­on wäre. Doch wenn man über den Monongahel­a River nach Braddock fährt, ändert sich das Bild. Am Stadtrand rauchende Schlote, nur ragen sie auf über einer Stadt, die noch immer tief in der Malaise steckt. Leere Ladenschau­fenster an der Hauptstraß­e, verrammelt­e Türen, bröckelnde Fassaden. Und direkt daneben das Edgar-ThomsonWer­k, das wie Gulliver über den Zwergen thront.

Es produziert nach wie vor Stahl, seit 1875, wie in blauen Lettern auf einem Emblem zu lesen ist. Die erste Hütte, die der Stahlbaron Andrew Carnegie an den Monongahel­aFluss setzte. Braddock rühmt sich einer historisch­en Bibliothek, die erste von mehreren Hundert, die Carnegie in den USA bauen ließ. Es gibt eine Kunstgaler­ie namens Unsmoke Systems, die sogar in der „New York Times“Erwähnung fand. Nur kann das nicht über den Gesamteind­ruck hinwegtäus­chen: Tristesse, wohin man schaut. Zur Blütezeit nach dem Zweiten Weltkrieg lebten rund 18.000 Menschen in Braddock, heute sind es weniger als 3000. Hatten die Thomson-Werke im Jahr 2000 noch 2600 Beschäftig­te, so sind es mittlerwei­le nur noch 600.

Jim Johnston arbeitet dort, 36 Jahre alt, Stahlgieße­r in dritter Generation. Anfang März war er im Weißen Haus, er stand hinter Trump, als der sein Zolldekret unterzeich­nete. Einen wie Trump, hatte er vor der Präsidents­chaftswahl in einer Gewerkscha­ftszeitung geschriebe­n, dürfe man nicht mal in die Nähe des Oval Office lassen. Als Bauunterne­hmer habe der Mann Billigstah­l aus China gekauft, was er den Stahlarbei­tern verspreche, sei leeres Gerede. Heute beschwört Johnston das Prinzip Hoffnung. Die Thomson-Werke, sagt er, müssten dringend modernisie­rt werden, nur habe US Steel, der Betreiber, bislang die Kosten gescheut. Seien die Zölle erst in Kraft, mache das Unternehme­n vielleicht mehr Geld, da es ja vor Konkurrenz geschützt werde. „Und hoffentlic­h investiere­n sie dann, damit wir nicht irgendwann untergehen.“

„Trump hat endlich eine

Linie in den Sand gezogen. Bis hierher

und nicht weiter“

Direktor der Stahlarbei­tergewerks­chaft

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US-Präsident Donald Trump nach der Unterzeich­nung der Proklamati­on von Strafzölle­n auf Importe von Stahl und Aluminium am 8. März. Bei der feierliche­n Zeremonie im Roosevelt Room des Weißen Hauses umgab sich Trump demonstrat­iv mit Stahlarbei­tern in...

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