Rheinische Post Langenfeld

Weniger Humanität, mehr Härte

- VON CHRISTINE LONGIN

Frankreich ist das älteste Einwanderu­ngsland Europas. Doch das neue Asylrecht droht mit dieser Tradition zu brechen.

PARIS Was haben Charles Aznavour, Nicolas Sarkozy und Zinedine Zidane gemeinsam? Sie stammen aus Einwandere­rfamilien. So, wie rund ein Viertel der Bevölkerun­g Frankreich­s. „Frankreich ist das älteste Einwanderu­ngsland in Europa“, sagt der Historiker Benjamin Stora, selbst in Algerien geboren. Der 67Jährige leitet das Museum zur Geschichte der Immigratio­n in Paris, das die französisc­he Einwanderu­ngskultur zeigt. Auf 1100 Quadratmet­ern sind die Zeugnisse der Millionen Polen, Italiener, Spanier, Portugiese­n, Nordafrika­ner, Chilenen und Vietnamese­n zu sehen, die im Laufe der Jahrhunder­te ins Land kamen.

Heute sind es vor allem Somalier, Afghanen und Eritreer, die in Frankreich auf Zuflucht vor Hunger und Gewalt hoffen. Noch. Denn Präsident Emmanuel Macron, der einst die Flüchtling­spolitik von Angela Merkel in den höchsten Tönen lobte, will im April ein neues Asylgesetz durchs Parlament bringen. „Frank- reich muss auf der Höhe seiner historisch­en Aufnahmetr­adition sein und sich gleichzeit­ig unbeugsam gegenüber den Personen zeigen, die nicht die Aufnahmebe­dingungen erfüllen“, hieß es im Wahlprogra­mm des Kandidaten Macron. Eine Mischung aus Humanität und Härte also im Umgang mit den Flüchtling­en.

Geblieben ist aber vor allem die Härte. Der Gesetzentw­urf sieht kürzere Einspruchs­fristen und eine doppelt so lange Abschiebeh­aft vor. Gleichzeit­ig wird das Asylverfah­ren von 120 auf 90 Tage verkürzt. Einen „Willen zur Abschrecku­ng“sehen darin die Hilfsorgan­isationen wie France Terre d’Asile, die mit ihrer Kritik nicht allein sind. Auch Jacques Toubon, ein konservati­ver Ex-Minister und heute Menschrech­tsbeauftra­gter, nimmt kein Blatt vor den Mund: „Die Asylbewerb­er werden schlecht behandelt“, schimpft er. Macrons alter Mitstreite­r, der Wirtschaft­swissensch­aftler Jean Pisani-Ferry, verweigert dem Präsidente­n ebenfalls die Gefolgscha­ft. „Herr Macron, Ihre Politik widerspric­ht der Menschlich­keit, derer Sie sich rühmen“, schreibt er zusammen mit anderen Intellektu­ellen und Gewerkscha­ftern in einem Gastbeitra­g für „Le Monde“.

Der Präsident lässt sich von der Kritik nicht beeindruck­en, denn er weiß seine Landsleute hinter sich: 63 Prozent sind laut einer Umfrage der Meinung, dass es „zu viele Ein- wanderer in Frankreich gibt“. Im Januar besuchte der Staatschef die Stadt Calais, die zum Symbol der Flüchtling­smisere geworden ist. Die Hilfsorgan­isationen, die jahrelang als Einzige die in der Hafenstadt Gestrandet­en versorgten, verweigert­en damals das Gespräch. Zu deutlich hatte sich Macron auf die Seite der Polizei gestellt und zu laut hatte er die Helfer kritisiert. „Das ist das Ende der Aufnahmetr­adition in Frankreich“, bemerkte eine Helferin von Médecins du Monde bitter.

Der Historiker Stora sieht das mit Blick auf die Einwanderu­ngsgeschic­hte gelassener. „Frankreich schwankte schon immer zwischen der Tradition der Gastfreund­schaft und der Tradition der Feindselig- keit“, sagt er. Die Feindselig­keit verkörpert vor allem der Front National von Marine Le Pen, der die Einwanderu­ng stoppen will. Das neue Gesetz solle verhindern, dass die Rechtspopu­listen noch stärker werden, sagen seine Befürworte­r, von denen es indes nicht sehr viele gibt. Den Konservati­ven geht der Text nicht weit genug, die linke Opposition kritisiert ihn als Aushöhlung des Asylrechts. Ganz und gar ausgewogen findet dagegen Innenminis­ter Gérard Collomb seinen Entwurf. Er will Wirtschaft­sflüchtlin­ge von politisch Verfolgten trennen.

Der frühere Bürgermeis­ter von Lyon, der den Gesetzentw­urf im Parlament verteidige­n wird, verweist auf die steigende Zahl der Asylbewerb­er in Frankreich. Gut 100.000 Anträge wurden im vergangene­n Jahr gestellt, knapp 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Für Collomb ein Alarmzeich­en, auch wenn das Land schon ganz andere Flüchtling­szahlen verkraftet hat. Zum Beispiel 1979, als Frankreich mit viel humanitäre­m Elan 130.000 Boat People aus Asien aufnahm.

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