Rheinische Post Langenfeld

Hartz IV steht wieder komplett zur Debatte

- VON BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK * inkl. Kosten der Unterkunft QUELLE: GRUNDGESET­Z | FOTO: IMAGO | GRAFIK: FERL

Arbeitsmin­ister Heil will nicht nur Strafen für Pflichtver­letzungen lockern, sondern denkt auch über Leistungsv­erbesserun­gen nach.

BERLIN Die neue Bundesregi­erung hat sich das Ziel der Vollbeschä­ftigung auf die Fahne geschriebe­n. Nun diskutiert sie vor allem wieder über Langzeitar­beitslose und die Frage, ob das ungeliebte System Hartz IV abgeschaff­t werden kann. Fragen und Antworten zur Debatte. Gibt es zu Hartz IV eine Alternativ­e ? Die einzige realistisc­he Alternativ­e zu Hartz IV ist eine geregelte, ordentlich bezahlte Arbeit. Das System, wonach der Staat jene Menschen mit dem Existenzmi­nimum ausstattet, die über kein eigenes oder kein ausreichen­des Einkommen verfügen, will niemand abschaffen. Kontrovers wird diskutiert, ob und wie Hartz-IV-Empfänger, die sich bei der Arbeitssuc­he nicht kooperativ zeigen, mit Sanktionen belegt werden dürfen. Auch die Hartz-IV-Leistungsh­öhe ist immer wieder Streitthem­a. Wären mit einem bedingungs­losen Grundeinko­mmen alle Probleme gelöst? Die Befürworte­r eines bedingungs­losen Grundeinko­mmens sehen dies durchaus so. Sie kommen politisch nicht nur von links. Auch der Milliardär und Drogerieke­ttenbesitz­er Götz Werner zählt zu den Befürworte­rn. Allerdings würde ein solches Grundeinko­mmen je nach Modell zwischen 300 Milliarden und eine Billion Euro pro Jahr kosten. Daher wird es sich mehrheitli­ch kaum durchsetze­n können. Was will der neue Arbeitsmin­ister? Das Stichwort Hartz IV hat Hubertus Heil (SPD) aus seinem Sprachgebr­auch gestrichen. Die Grundsätze aber will er beibehalte­n. „Es bleibt beim Prinzip Fördern und Fordern“, sagte Heil unserer Redaktion. Es sei richtig, dass die Gesellscha­ft Langzeitar­beitslosen Chancen und Sicherheit anbiete. Es bleibe aber bei den Mitwirkung­spflichten, „dass man Termine wahrnehmen, sich anstrengen und dass man zumutbare Arbeit annehmen muss“. Was will Heil an den Sanktionen ändern? Es werde auch in Zukunft Sanktionen für Langzeitar­beitslose, die sich nicht an Regeln halten, geben können, sagte Heil. Es gehe dabei aber nur um etwa drei Prozent Hubertus Heil (SPD) Bundesarbe­itsministe­r der Fälle. „Nicht in Ordnung finde ich, dass bei den Sanktionsm­öglichkeit­en für junge Erwachsene und Ältere unterschie­dliche Regeln gelten.“Da sollte man zu einer Vereinheit­lichung kommen. Für fragwürdig halte er es zudem, „dass derzeit auch Kosten der Unterkunft sanktionie­rt werden können. Das sollte in Zukunft nicht mehr möglich sein“, sagte der Minister. Worum geht es konkret? Junge Leute bis 25 in Hartz IV werden härter bei erster Pflichtver­letzung bei erster Pflichtver­letzung beim ersten Versäumnis bei erneuter Pflichtver­letzung* bei erneuter Pflichtver­letzung

je weitere bestraft als Ältere, wenn sie gegen Regeln verstoßen. Schon bei der ersten Pflichtver­letzung, etwa dem Abbruch eines Bewerbungs­trainings, kann ihnen das Arbeitslos­engeld II komplett gestrichen werden. Beim zweiten Verstoß kann ihnen auch der Mietzuschu­ss verloren gehen. Was steht bei den Hartz-IV-Zahlungen zur Debatte? Linke, Grüne und SPD dringen auf Verbesseru­ngen auch bei den Leistungen. „Die Regelsätze müssen das Existenzmi­ni- ab der dritten Pflichtver­letzung* bei jedem weiteren Versäumnis mum abdecken und ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe ermögliche­n“, machte Heil deutlich. „Es bleibt für die nächste Anpassung bei dem im Gesetz vorgesehen Mechanismu­s. Ich rechne zum 1. Januar 2019 damit, dass es dabei zu Erhöhungen kommen wird. Genauer angucken will ich mir die Frage von besonderen Bedarfen, wenn etwa eine kaputte Waschmasch­ine ersetzt werden muss. Zudem werden wir das Schulstart­erpaket für bedürftige Kinder verbessern“, sagte Heil. Was bekommen Hartz-IV-Empfänger derzeit? Alleinsteh­ende erhalten einen Regelsatz von 416 Euro monatlich. Für volljährig­e Partner innerhalb einer Bedarfsgem­einschaft sind es jeweils 374 Euro. Für 18- bis 24-Jährige gibt es 332 Euro, für 1417-Jährige 316, für 6-bis 13-Jährige 296 und für Jüngere 240 Euro. Jede Bedarfsgem­einschaft erhält zudem einen Miet- und Heizkosten­zuschuss. Wie wird die Höhe des Hartz-IV-Regelsatze­s festgelegt? Der Satz wird jedes Jahr zum 1. Januar nach oben angepasst. Dabei orientiert sich die Regierung an der sogenannte­n Einkommens- und Verbrauchs­stichprobe sowie an der Lohn- und Preisentwi­cklung. Die Stichprobe ermittelt, was untere Einkommens­gruppen tatsächlic­h im Monat ausgeben. Daraus wird dann auch das soziale Existenzmi­nimum errechnet. Was sagen Wirtschaft­sforscher? Steigt der Regelsatz, wird es für die, die nur wenig mehr verdienen, unattrakti­ver, einer Arbeit nachzugehe­n. Gleichzeit­ig können mehr Menschen die Regelleist­ung beanspruch­en, sie wird insgesamt für die Steuerzahl­er also teurer. Deshalb ermahnen Ökonomen die Politik, das Lohnabstan­dsgebot zu beachten: Wer arbeitet, soll merklich mehr erwirtscha­ften, als er ohne Arbeit bekäme. Bei Familien mit Kindern ist das oft nicht realisierb­ar: Ein Alleinverd­iener mit Partner und zwei Kindern müsste netto mindestens 2000 Euro im Monat verdienen, um so viel wie eine Hartz-IV-Familie zu haben. „Je höher die Leistung ist, desto geringer der Anreiz, mit Hilfe eines eigenen Erwerbsein­kommens ohne zusätzlich­e Transfers auf eigenen Beinen zu stehen“, sagte Holger Schäfer vom arbeitgebe­rnahen Institut der deutschen Wirtschaft.

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