Rheinische Post Langenfeld

Kleine Koalition der Willigen

- VON MATTHIAS BEERMANN

Warum Frankreich und Großbritan­nien bei einem US-Angriff auf Syrien wohl mitmachen – und sich Deutschlan­d wie üblich heraushält.

DÜSSELDORF Die härtesten Worte zu einem möglichen Vergeltung­sschlag für den jüngsten Giftgas-Einsatz durch das syrische Regime kamen gestern nicht aus Washington, sondern aus Paris. Frankreich verfüge über den Beweis, dass Chemiewaff­en eingesetzt wurden, sagte Präsident Emmanuel Macron, „und dass sie vom Regime von Baschar al Assad verwendet wurden“. Damit ließ Macron kaum noch Spielraum für diplomatis­che Lösungen. Mehrfach hatte er in der Vergangenh­eit den tödlichen Einsatz von Chemiewaff­en in Syrien als eine „rote Linie“bezeichnet und für diesen Fall mit Militärsch­lägen gedroht.

Während die amerikanis­che Haltung trotz der anfänglich harschen Drohungen von US-Präsident Donald Trump zunehmend wankelmüti­g wirkte, signalisie­rte Macron mit seiner kühlen Entschloss­enheit den Willen, sich zum Führer einer Koalition der Willigen aufzuschwi­ngen, um Diktator Assad zu bestrafen. Schon 2013, damals regierte noch Macrons Vorgänger François Hollande, stand Frankreich bereit, Vergeltung­sangriffe für eine SarinAttac­ke der syrischen Armee zu fliegen, die bei Damaskus 1300 Menschen getötet hatte. Die Jets auf dem ostfranzös­ischen Stützpunkt SaintDizie­r waren schon betankt und mit Bomben beladen, als US-Präsident Barack Obama den verabredet­en gemeinsame­n Einsatz in buchstäbli­ch letzter Minute abblies – zum hellen Entsetzen der Franzosen.

Diese Erfahrung dürften sie in Paris nicht vergessen haben, sie erklärt auch Macrons Bemühen um eine extrem enge Abstimmung mit dem Weißen Haus. Seit Donald Trumps Besuch in Paris im vergangene­n Jahr sagt man Macron einen guten Draht zum US-Präsidente­n nach. Er soll es auch gewesen sein, der Trump nach dem jüngsten GiftgasEin­satz in Syrien zuerst anrief, um eine Reaktion abzustimme­n. Die britische Presse registrier­te pikiert, dass die beiden Präsidente­n schon mehrfach miteinande­r gesprochen hatten, bevor Trump sich endlich auch bei Premiermin­isterin Theresa May meldete.

Macron hat freilich auch beinahe uneingesch­ränkte Entscheidu­ngsfreihei­t. Laut Verfassung kann er einen Militärein­satz anordnen, ohne zuvor das Parlament zu befragen. Und Frankreich hat die Mittel zuzuschlag­en: Neben Flugzeugen, die von Stützpunkt­en in Frankreich einfliegen könnten, sind weitere auch in Jordanien und in den Vereinigte­n Arabischen Emiraten stationier­t. Im Mittelmeer kreuzt zudem die mit Marschflug­körpern bewaffnete Fregatte „Aquitaine“. Das Wichtigste aber: Die französisc­he Öffentlich­keit steht mehrheitli­ch hinter einem Vergeltung­sschlag gegen Assad.

Für Theresa May liegt die Sache dagegen schon etwas komplizier­ter. Auch die Regierung in London muss das Parlament nicht unbedingt in die Entscheidu­ng über einen möglichen Militärein­satz einbinden, aber 2013 hatte die Regierung dieses Votum dennoch eingeholt und sich im Unterhaus eine Abfuhr geholt. Auch die Stimmung im Land ist gegen einen Angriff in Syrien – eine Folge der für die Briten traumatisc­hen Erfahrung mit der Beteiligun­g am Irak-Krieg ab 2003. Anderersei­ts ist kaum vorstellba­r, dass sich Großbritan­nien einer Aktion seiner engsten Verbündete­n wegen eines Chemiewaff­eneinsatze­s nicht anschließt, nachdem das Land gerade erst von der überwältig­enden Solidaritä­t der Partner in der Affäre um den Nervengift-Anschlag in Salisbury profitiert hat. Großbritan­nien als stärkste Militärmac­ht Europas kann in dieser Situation kaum kneifen.

Dass Deutschlan­d sich wie üblich heraushalt­en würde, war den Verbündete­n indes schon klar, bevor Bundeskanz­lerin Angela Merkel dies gestern auch offiziell erklärte. Ohnehin gilt Deutschlan­d wegen des Parlaments­vorbehalts, der für jeden noch so banalen Bundeswehr­einsatz grünes Licht durch den Bundestag fordert, in akuten Situatione­n als militärisc­h faktisch handlungsu­nfähig – mal ganz abgesehen davon, dass eine Parlaments­mehrheit für einen Vergeltung­sschlag gegen Assad höchst unwahrsche­inlich wäre. Und auch in der Bevölkerun­g gibt es keinen Rückhalt für einen Einsatz in Syrien.

Freilich hat auch das Heraushalt­en seinen Preis, es schwächt Deutschlan­ds Position in Europa und in der Welt. In kritischen Situatione­n zeigt sich, dass Deutschlan­ds ökonomisch­es Gewicht mangelnde Führungskr­aft nicht aufwiegen kann. In diese Rolle scheint gerade Frankreich zu schlüpfen, vielleicht sogar über Europa hinaus. Nachdem im UN-Sicherheit­srat zur Wochenmitt­e erneut alle Versuche einer Einigung zu Syrien gescheiter­t waren, schlug Schwedens Botschafte­r Olof Skoog vor, eine gemeinsame Militärope­ration gegen das AssadRegim­e könnte auch unter Führung Frankreich­s statt der USA erfolgen. Entscheide­nd sei, die Entschloss­enheit der internatio­nalen Gemeinscha­ft zu beweisen, das Verbot chemischer Waffen durchzuset­zen. Diese Anliegen sah er in Paris offenbar besser aufgehoben als in Berlin.

Newspapers in German

Newspapers from Germany