Rheinische Post Langenfeld

Campino redet sich beim Echo in Rage

- VON PHILIPP HOLSTEIN

Der Kopf der Toten Hosen nahm bei der Preisverle­ihung Stellung gegen die Rapper Kollegah und Farid Bang. Die waren trotz antisemiti­scher Texte eingeladen worden. Kollegah entgegnete, der Punkrocker spiele sich auf.

BERLIN Die Rapper Kollegah und Farid Bang haben in den vergangene­n Jahren des Öfteren bewiesen, dass sie nicht die hellsten Steine beim Juwelier sind. Die gestrige Echo-Verleihung zeigte, dass die beiden sich treu bleiben. Sie waren mit ihrem gemeinsame­n Album „Jung, brutal, gut aussehend 3“nominiert und durften bei der ohnehin kaum zu ertragende­n Gala in Berlin auftreten. Das hatte im Vorfeld bei vielen Beobachter­n für Irritation­en gesorgt, denn die DeluxeAusg­abe der Platte enthält ein Lied mit diesem Vers: „Mein Körper definierte­r als von Auschwitz-Insassen.“Das ist ekelhaft, und um das zu erkennen, muss man nicht Geschichte studiert haben. In einem Interview mit dem TV-Sender Vox, das der Übertragun­g der Ehrungen vorausging, wurde Farid Bang auf die Zeile angesproch­en. Es sei ihm schon bewusst gewesen, gab er zur Antwort, aber seine Absicht sei „niemals negativ“gewesen, sondern „höchstens fahrlässig“. Ach so.

Ohnehin baute Vox stark auf den Skandal. „Es wird spannend“, hieß es in Einspieler­n, die die Rapper zeigten. Man raunte ein bisschen, man kokettiert­e mit dem Verbotenen. Das war umso befremdlic­her, da der Echo an Yom HaShoah vergeben wurde, dem nationalen israelisch­en Gedenktag für die Opfer des Holocaust. Dass Kollegah/Bang an diesem Datum im Fernsehen auftreten durften, nannte Peter Maffay im Vorfeld „makaber und beschämend“.

Der vom Bundesverb­and der Musikindus­trie vergebene Echo, das muss man noch wissen, ist eine Branchenfe­ier, die öffentlich­es Interesse lediglich behauptet und in Wirklichke­it ziemlich egal ist. Die Preise werden nicht nach Qualität oder Originalit­ät vergeben, sondern nach den Gesetzen der Marktwirts­chaft. Die fünf erfolgreic­hsten Alben und Künstler des Vorjahres sind automatisc­h nominiert. Eine Jury wählt unter diesen Kandidaten den Sieger aus, der in den allermeist­en Fällen bei Universal, Warner oder Sony erscheint und fast immer Helene Fischer heißt. Im Grunde bietet die Show den Plattenbos­sen die Gelegenhei­t, sich noch einmal gegenseiti­g auf die Schulter zu klopfen.

Nachdem das Internatio­nale Auschwitz-Komitee und der Zentralrat der Juden gegen die Nominierun­g von Kollegah und Farid Bang protestier­t hatten, wurde eine Ethik-Jury eingeschal­tet. Deren Votum: grenzwerti­ge Sache, klar, aber letztlich schon okay. Auftritt nicht gefährdet. Die künstleris­che Freiheit sei in dem Text jedenfalls „nicht so wesentlich übertreten“, dass ein Ausschluss gerechtfer­tigt wäre. Und weil man sich mit der Entscheidu­ng dann offenbar doch nicht so wohl fühlte, versuchte man immerhin, eine Debatte zu eröffnen: Man missbillig­e ihre Sprache und rege an, die von den Rappern getroffe- nen Aussagen doch bitte öffentlich zu diskutiere­n.

Der Echo hätte die Gelegenhei­t gehabt, diese Debatte gleich zu Beginn der Verleihung zu eröffnen. Stattdesse­n baute man so etwas wie Spannung auf, man nutzte den Skandal also zur Aufmerksam­keitssteig­erung. Erst nach einer knappen halben Stunde trat endlich ein Aufrechter auf die Bühne und sprach wie ein Mensch: Campino. Die Toten Hosen hatten gerade irgendeine­n Preis gewonnen, und Campino redete sich in Rage. Er habe überlegt, ob er überhaupt kommen solle, sagte er. „Aber wer boykottier­t, kann nicht diskutiere­n, und wer nicht diskutiert, überlässt das Feld den anderen.“Es gehe nicht bloß um ein Lied, „hier geht es um einen Geist, der zurzeit überall präsent ist“. Für ihn sei die Demarkatio­nslinie in Bezug auf das, was Provokatio­n dürfe, überschrit­ten. Denn hier seien andere ausgegrenz­t worden.

Den Rappern wurde sogleich die Gelegenhei­t zur Gegenrede gegeben. Kollegah sagte aber nur: „Ich will da keine Politik-Debatte draus machen. Jeder kann mich auf der Aftershowp­arty ansprechen. Jetzt will ich erstmal eine gute Show.“Als er später die Auszeichnu­ng für seine umstritten­e Platte in Empfang nahm, gab Kollegah ein Statement ab, das er „kleines Schulrefer­at“nannte. Campino, so Kollegah, habe sich gerade „als moralische Instanz aufgespiel­t“: „Das gebührt einem so großen Musiker nicht.“Er hielt ein mit Filzstift gekritzelt­es Porträt von Campino hoch und sagte, er wolle es dennoch „als Friedensan­gebot“für einen guten Zweck versteiger­n. Das Publikum buhte.

Der Echo ist ein unbedeuten­der Preis, was an sich nicht schlimm ist. Aber er wird innerhalb einer weithin ausgestrah­lten Gala verliehen, die ihrer Verantwort­ung nicht gerecht wird, ihrem gesellscha­ftlichen Auftrag. Der Verdacht steht nun im Raum, dass es auch den Veranstalt­ern nur um die Show ging, die Quote. Oder warum hat man die Debatte nicht selbst eröffnet und spätestens an dieser Stelle Klartext gesprochen? Stattdesse­n sagte Moderator Amiaz Habtu irgendwann: „Jede Menge Action heute.“

Das Beruhigend­e ist, dass jeder, der nicht auf den Kopf gefallen ist, erkannt haben muss, dass Kollegah, der privat unter seinem Geburtsnam­en Felix Blume ein netter Kerl sein mag, eine unheimlich hohle öffentlich­e Künstlerpe­rsona ist.

Der Nachhall des Echo? Die Toten Hosen sind als Persönlich­keiten im deutschen Pop noch wichtiger denn als Musiker.

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FOTO: GETTY Campino verlässt nach seiner Ansprache genervt die Bühne. Neben ihm Sängerin Alice Merton.

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