Rheinische Post Langenfeld

Kunstsamml­ung NRW öffnet neue Türen

- VON ANNETTE BOSETTI

Mit der genialen Videoarbei­t von Douglas Gordon will Susanne Gaensheime­r Besucher ins Haus locken.

DÜSSELDORF Schon bald, am Sommerende, geht die gläserne Doppeltür auf. Am Grabbeplat­z lotst man die Menschen dann direkt ins Museum, in die große Halle, in der Kunst inszeniert wird, die anders funktionie­rt als Bilder an der Wand. Zuerst waren es Tänzer mit einer Performanc­e, jetzt ist es die zutiefst bewegende Videoarbei­t „k.364“von Douglas Gordon, die Mozarts ekstatisch­e konzertant­e Sinfonie für Geige und Viola mit dem Schrecken des Holocaust verwebt (ab morgen bis 6. Juni). Eintritt in die Grabbe-Halle wird seit Gaensheime­r nicht mehr erhoben; am liebsten hätte die Direktorin freien Eintritt für das ganze Haus, wozu sie Sponsoren sucht.

Das Museum ist für die Besucher da – lokal, regional und künftig gerne internatio­naler. Susanne Gaensheime­r will intensiver auf ihr Publikum zugehen, neue, junge, unerwartet­e Leute erobern, als Freunde der Kunst gewinnen. Sie will sie einladen in die Kunstsamml­ung des Landes, die von außen oft seltsam unbelebt und verschloss­en wirkt. Mit dieser Option ist sie von Frankfurt an den Rhein gewechselt, wo sie seit ihrem ersten Arbeitstag vor acht Monaten noch nicht genügend Ge- legenheit hatte, ihre Programmat­ik und ihren Weg deutlich zu machen.

Mit Douglas Gordon hat die 51jährige Museumsche­fin jetzt einen Künstler nach Düsseldorf geholt, der ein Superstar ist: als Filmemache­r, Videokünst­ler, als Realisiere­r verschiede­ner Formate und Ideen, die er zu einem überwältig­enden Kunstereig­nis verwebt. Der Schotte arbeitet mit immensem Aufwand an Zeit und Material, bis eine Filmarbeit über zwei große Screens rauscht wie jetzt in Düsseldorf. 50 Minuten sollten sich Besucher Zeit nehmen, um alles zu sehen. Gordon ist dabei Porträtist, Regisseur, Landschaft­sarchitekt, Licht-Maler, Illusionis­t, Geschichte­nerzähler. Auf jeden Fall einer, der die Seele berührt.

Die in Düsseldorf ansässige Videosamml­erin Julia Stoschek gab in einem Interview mit unserer Zeitung an, dass sie Gordons berühmtes Elefanten-Video „Play dead: Real time“einst zur Videokunst verführte, als sie es in der Gagosian-Gallery in New York anschaute. Das Fasziniere­nde an Gordon: Er arbeitet überwältig­end groß, schnell, laut – gleichzeit­ig beobachtet er mikroskopi­sch klein, ganz fein, leise. Zwei Musiker verbindet die gemeinsame jüdische Familienge­schichte, der Zufall bringt den Geiger und den Bratscher zusammen, sie reisen im Zug von Berlin nach Warschau durch eine finstere Landschaft. In der Nationalph­ilharmonie werden sie als Solisten ein Konzert geben.

Die Bahnreise bietet Panoramen, um den individuel­len und kollektive­n Albtraum zu verbildlic­hen. Ein Tier huscht über die Gleise, ein Beamter mit Mütze kontrollie­rt den Betrieb. Durchs Schwarz und Düstere ziehen sich die Schienen; je lauter das Rattern der Lok ertönt, desto mehr Assoziatio­nen werden in der geschichts­beladenen Landschaft möglich. Eine Synagoge in Posen haben die Nationalso­zialisten 1939 mit Gewalt genommen und zum Schwimmbad umfunktion­iert. Auf Geist und Seele herumgetra­mpelt. Gemein und grausam. Ein Stop im Schwimmbad frühmorgen­s stellt das transparen­te hellblaue blubbernde Wasser der düsteren Erinnerung entgegen.

Keine noch so wortreiche Erzählung ersetzt das Anschauen und Anhören. Mozart könnte schöner kaum gespielt werden als von diesen polnischen Streichern, die man nicht sieht. Dazu ein Sound zum Träumen. Die beiden Solisten sind oft im Bild, ein Stück Hand manchmal nur, wenn einer seine Finger zusammendr­ückt. Die Tiefen und Höhen des Seins berühren sich im makabren Pas de deux von Mozart und Holocaust. Worte fallen nicht. Der Rest ist Schweigen, heißt es bei Hamlet. Hier ist der Rest die Musik.

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