Rheinische Post Langenfeld

Darf Cristiano Ronaldo so jubeln?

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Dass Cristiano Ronaldo die große Pose liebt und ganz nebenbei auch sich selbst, ist unbestritt­en. Dass sein Machden-gestählten-Oberkörper-frei-Jubel zuweilen befremdlic­h wirkt, ebenfalls. Doch das gehört zu Cristiano Ronaldo dazu, das hat er zu seinem Image gemacht. Und dass er dann, wenn er ein wichtiges und entscheide­ndes Tor in letzter Minute eines wichtigen und entscheide­nden Spiels erzielt, ob nun per Elfmeter oder sonst wie, jubelt, wie er eben jubelt, ist menschlich. Wer Entscheide­ndes tut, hat zudem jedes Recht dazu.

Real Madrid ist in der Meistersch­aft hinten dran, ist rausgeflog­en aus dem Pokal – und nun drohte das Aus in der Champions League. Es wäre für die stolzen Madrilenen und ihren noch stolzeren portugiesi­schen Vorarbeite­r ein peinliches Aus geworden nach dem 3:0 im Hinspiel bei Juventus Turin. Der Druck war also gigantisch. Ronaldo übernahm bei dem Elfmeter Verantwort­ung – und schoss den Ball in den Winkel.

Warum soll er in so einer Situation verhalten jubeln? Weil ihm die Italiener wegen seines Fallrückzi­ehers im Hinspiel Applaus gespendet haben? Dass er mit seinem Jubel den Gegner verhöhnt, ist eine recht steile These. Ronaldo ist ehrgeizig und er liebt es, Tore zu schießen – seine Freude frei heraus.

Und die Pose gehört zu seinem Selbstvers­tändnis. Dass er sich vor Freude die Kleider vom Leib reißt, war in diesem Fall fast symbolisch, war doch dieser Treffer eine extreme Befreiung für ihn und für ganz Madrid. Erfolg ist für Ronaldo eine per- sönliche Sache – und wenn er erfolgreic­h ist, ist es auch das Team. Das ist seine Art des Teamplayer-Seins. Abgesehen davon: Dass er ein echter Teamplayer ist, hat er spätestens im EM-Finale 2016 gezeigt.

Dass er sich mit seinem Jubel in den Mittelpunk­t stellt, ist richtig, aber bitte schön: Ronaldo steht auch im Mittelpunk­t. Drei der vier Tore, die Real gegen Juve erzielt hat, hat Ronaldo gemacht. Er macht immer wieder den Unterschie­d. Darum darf er auch herausrage­n. KARSTEN KELLERMANN

Natürlich darf Ronaldo jubeln, wie er will. Natürlich muss man ihm zu Gute halten, dass es sich nicht um irgendein Tor bei einem Gurkenspie­l in der Kreisliga handelte, sondern um den entscheide­nden Elfmeter zum Einzug ins Halbfinale der Champions League. Bedrängt von unzähligen gegnerisch­en Akteuren, die versucht haben, ihn aus der Konzentrat­ion zu bringen. Und, liebe Ronaldo-Jünger, niemand, wirklich niemand stellt in Zweifel, dass der Portugiese ein herausrage­nder Fußballer ist. Es ist eine vollkommen müßige Diskussion, herausfind­en zu wollen, ob er oder Messi nun der vollkommen­ere Spieler ist.

Hier geht es schlicht um eine grundsätzl­iche Frage des Auftretens. Und um eine Vorgeschic­hte. Im Hinspiel ist Juventus Turin ziemlich übel von Real Madrid vorgeführt worden. Die Königliche­n haben bei der „alten Dame“3:0 gewon- nen – das zweite Tor von Ronaldo war ein sehenswert­er Fallrückzi­eher. Der war so spektakulä­r, dass sich ein Großteil der Tifosi von ihren Plätzen erhoben hatte, um ihm zu applaudier­en. Gigi Buffon streckte den Daumen nach oben und gratuliert­e Ronaldo zu seiner Leistung.

Genau dieser Ronaldo also geht nach einem für seine Verhältnis­se mehr als biederen Spiel ab wie Schmitz’ Katze, nachdem er einen Elfmeter verwandelt­e. Nachdem Buffon wegen Schiedsric­hterbeleid­igung mit Rot vom Platz geflogen war. Es geht ihm in diesem Moment, wie so oft in seiner Karriere, zu allererst nur um sich. Um seine Inszenieru­ng. Er feiert nicht mit dem Team, er feiert sich. Seinen muskelbepa­ckten Körper, eine Machtdemon­stration: Seht her, ich bin der stärkste Spieler der Welt! Ja, Ronaldo, du bist vielleicht der stärkste Spieler der Welt – aber du bist nicht der größte Sportsmann der Welt. Diesen Titel kann man sich nicht erkaufen, nicht durch besonders trickreich­e und wichtige Tore, durch internatio­nale Titel verdienen – man muss dazu die Herzen des Publikums gewinnen.

Ronaldo hat in seinem Profileben fast alles erreicht. Er ist großartig. Ganz bestimmt. Ihm mangelt es halt nur an wichtigen Tugenden: Stil und echter Sportsgeis­t.

GIANNI COSTA

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seinem verwandelt­en Elfmeter.
FOTO: ACTION PRESS Cristiano Ronaldo nach seinem verwandelt­en Elfmeter.

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