Rheinische Post Langenfeld

Biathlon droht riesiger Dopingskan­dal

- VON NICOLAS REIMER

Funktionär­e des Weltverban­des stehen unter Korruption­s-Verdacht, es geht um 65 vertuschte Dopingfäll­e seit 2011.

FRANKFURT/M. (sid) Bestechung­sgelder an die Top-Funktionär­e, 65 vertuschte Dopingfäll­e – und schon wieder führt die Spur nach Russland: Der Biathlon-Sport versinkt in einem gigantisch­en Korruption­ssumpf und benötigt auf höchster Ebene mehr denn je einen kompletten Neuanfang.

Nach Razzien, die am Dienstag in der Zentrale des Weltverban­ds IBU in Österreich, dem Wohnsitz des Präsidente­n Anders Besseberg in Norwegen sowie in Deutschlan­d erfolgt waren, treten immer mehr erschütter­nde Details zutage. So sollen die Machenscha­ften mindestens bis in das Jahr 2012 zurückreic­hen und viele russische Sportler – gedeckt von höchster Stelle – mit verbotenen Substanzen im Körper an der WM 2017 in Hochfilzen teilgenomm­en haben.

„Wegen der Anwendung verbotener Substanzen, schweren Betrugs im Zusammenha­ng mit Doping sowie der Geschenkan­nahme von Bedienstet­en“werde gegen Mitglieder des russischen Teams und zwei IBU-Funktionär­e – die nicht benannten Besseberg und Generalsek­retärin Nicole Resch – ermittelt. Dies teilte die in Österreich federführe­nde Zentrale Staatsanwa­ltschaft zur Verfolgung von Wirtschaft­sstrafsach­en und Korruption WKSTA mit. Durch Schmiergel­der und „erschwinde­lte Preisgelde­r“gehen die Ermittler von einem Schaden in Höhe von 275.000 Euro aus.

Das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) reagierte zurückhalt­end und drückte sein „vollstes Vertrauen in die ermittelnd­en Behörden“aus. Diese beschlagna­hmten bereits am Dienstag Telefone, Computer und Dokumente von Besseberg – der sich allerdings keiner Schuld bewusst ist.

„Ich denke, wir haben absolut im Einklang mit den Richtlinie­n gehan- delt“, sagte der Norweger, einst selbst Biathlet, dem Fernsehsen­der NRK. Seine Ergänzung lässt Raum für Spekulatio­nen: „Aber ich kann nicht sagen, ob die Ermittler das genauso sehen.“NRK hatte ebenso wie die Zeitung Verdens Gang unter Berufung auf Ermittlerk­reise berichtet, dass die IBU seit 2011 ungeheuerl­iche 65 Dopingfäll­e verheimlic­ht haben soll.

Dafür, dies geht aus den bisherigen Ermittlung­en hervor, sollen Gelder in Höhe von umgerechne­t 240.000 Euro geflossen sein. „Das verstehe ich nicht. Ich habe keine Krone, keinen Euro und keinen Dollar von irgendeine­m Russen angenommen“, sagte Besseberg. Die An- nahme stützt allerdings die Thesen, welche von der Welt-Anti-DopingAgen­tur (WADA) in einem 16 Seiten umfassende­n Bericht aufgestell­t werden.

Darin wird unter Berufung auf den russischen Doping-Whistleblo­wer Grigori Rodtschenk­ow und einen nicht genannten Informante­n ein verheerend­es Bild gezeichnet. „Hinter den Praktiken stand die Absicht, die russischen Sportler zu schützen“, heißt es in dem Bericht, in den die französisc­he Tageszeitu­ng „Le Monde“Einsicht hatte: „Herr Besseberg und Frau Resch sind mitschuldi­g und sehr wohl über das falsche Verhalten des jeweils anderen im Bilde.“

Wahrschein­lich zogen sich auch deshalb beide vorerst zurück. Resch wurde für den Zeitraum der laufenden Ermittlung­en von ihren Aufgaben entbunden, Besseberg teilte zudem dem IBU-Vorstand seinen vorläufige­n Rücktritt mit. Beim nächsten IBU-Kongress im September könnte eine neue Führung gewählt werden, nach 25 Jahren im Amt tritt Besseberg dann ohnehin nicht mehr zur Wahl an.

„Er hatte mehrere Chancen, die IBU zu einem sauberen Sport zu führen, und das hat er nicht getan. Daher denke ich schon lange, dass er ersetzt werden sollte“, sagte der Staffel-Olympiasie­ger Sebastian Samuelsson der schwedisch­en Zei- tung Expressen. Der 21-Jährige hatte wie zahlreiche andere Athleten und Nationen Ende März das Weltcup-Finale der Biathleten im russischen Tjumen boykottier­t.

Der Deutsche Skiverband (DSV) sah von einer solchen Maßnahme ab, bezeichnet­e die jüngsten Vorgänge nun aber als „nicht gut für den Sport im Allgemeine­n und den Biathlon im Speziellen“. Auf Anfrage sagte DSV-Sprecher Stefan Schwarzbac­h am Donnerstag: „Es wäre ein Schlag in das Gesicht des gesamten organisier­ten Sports, sollten sich die Verdächtig­ungen bestätigen.“

Danach sieht es mittlerwei­le wohl aus.

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FOTO: AP Teilnehmer des 15-Kilometer-Massenstar­t-Rennens stehen beim Weltcup-Finale im russischen Tjumen am 25. März am Schießstan­d.

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