Bob Dylan hat gelächelt
Der 76 Jahre alte Literatur-Nobelpreiträger gab ein großartiges Konzert in Krefeld. Für seine Verhältnisse wirkte er zugewandt, geradezu frühlingshaft gestimmt. Einige Klassiker reichte er in völlig überarbeiteten Versionen dar.
KREFELD Es gab schon früh an diesem Abend Anzeichen dafür, dass etwas Besonderes in der Luft lag. Bei „Come Rain Or Come Shine“etwa streckte er eine Hand in Richtung Publikum aus, als wolle er es berühren. Nach „Early Roman Kings“deutete er gar eine Verbeugung an. Und als das Konzert beinahe zu Ende war – in der 81. Minute, um genau zu sein –, ereignete sich tatsächlich die Sensation. Es war nur eine Ahnung, ein Zucken lediglich, ganz zart und undeutlich bloß, aber man kann es guten Gewissens gelten lassen: Bob Dylan hat gelächelt.
Der 76-Jährige trat vor 4500 Fans im Königspalast in Krefeld auf, und für seine Verhältnisse wurde das ein heiteres, beschwingtes und geradezu frühlingshaftes Konzert. Dylan war außerordentlich gut aufgelegt. Er arrangierte die meisten Songs komplett neu, und der Höhepunkt war in dieser Hinsicht „Tangled Up In Blue“, das er minimalistisch darbot; Sprache war in dieser Version nurmehr Lautmalerei, ein zusätzliches Rhythmusinstrument. Er ließ die Gitarren in „Desolation Row“bis nach Lateinamerika durchbrennen. Für „Love Sick“knipste er Lampen an, die wie Glühwürmchen anmuteten. Und „Thunder On The Moun- tain“war echter Rock‘n’Roll. Er brachte „Simple Twist Of Fate“und „Highway 61 Revisited“.
Dylans Kunst ist die vergänglichste überhaupt. Jeder Abend ist ein Unikat. Er ist der einzige LiteraturNobelpreisträger, der seine Texte buchstäblich in den Wind schreibt. Er trägt sie überallhin, in jeden Winkel: Die Welt muss dylanisiert werden. Sein Werk huldigt dem Augenblick, deshalb ist das Sicherheitspersonal so streng, wenn es fotografierende Fans entdeckt: Es soll nichts konserviert werden. Was zählt, ist allein die Unmittelbarkeit.
Die fünfköpfige, toll aufspielende Band flirtete geradezu mit dem Meister, sie umschwärmte ihn. Die Bühne wirkte wie ein Filmset aus Hollywoods großen Tagen: mächtige, abgedimmte Scheinwerfer, ein dunkelroter Vorhang mit Faltenwurf. Es war ein familiärer Abend, das Publikum begrüßte jeden Klassiker mit Applaus – auch wenn es manchmal eine Minute und länger dauerte, bis man erkannte, welches Stück Dylan da eigentlich sang. Aber auch das gehört ja zur Dylan-Folklore, dieses Dekonstruieren und Entkernen. Die ständige Revision und Neubefragung. Das unbedingte In-Bewegung-Halten.
Dylan stand die meiste Zeit rechts auf der Bühne am Klavier. Er trug weiße Cowboystiefel, die ohne Würdeverlust nur er tragen kann, und dazu diese Bob-Dylan-Frisur. Sein Jackett glitzerte keck, und manchmal schritt er hinüber zum Kontrabass. Da sang er dann so schöne Lieder wie Frank Sinatras „Melancholy Mood“und „Autumn Leaves“von Yves Montand. Arglose, anrührende und leicht angeschrägte Versionen voller Wehmut. Seine Stimme schmeichelte dann beinahe.
Man fragt sich ja immer, was Dylan eigentlich so denkt auf der Bühne. Ob das eigentlich schwierig ist, der Dylan zu sein? Ist er stolz auf seinen Oscar für das Lied „Things Have Changed“, das er stets als Erstes spielt? Fragt er sich, ob er möglicherweise auch ein bisschen Schuld ist an der aktuellen Implosion der Nobelpreis-Jury? Und singt er vielleicht manchmal extra so unverständlich, nur um mal zu gucken, was passiert?
Jedenfalls brachte er als Zugabe nach nicht ganz zwei Stunden „Blowin’ In the Wind“. Streicherselig, nostalgisch und doch ganz neu. Die Fans strömten im Krefelder Königspalast vor die Bühne.
So wird morgen die Erinnerung klingen.
Dylan ist der einzige Literatur-Nobelpreisträger, der seine Texte buchstäblich in den
Wind schreibt