Rheinische Post Langenfeld

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BERLIN Der Bau der Deutschen Rentenvers­icherung in Berlin ist so groß, dass er mehrere Adressen an verschiede­nen Straßen hat. Die Rentenpräs­identin, Gundula Roßbach, treffen wir in einem schmucklos­en Besprechun­gsraum – der schafft Konzentrat­ion auf die großen Zahlen und die schwindele­rregenden Summen, mit denen die Behörde arbeitet. Frau Roßbach, mit welchen Mehrausgab­en rechnen Sie pro Jahr für die geplante weitere Anhebung der Mütterrent­en? ROSSBACH Die Koalition möchte die Renten für die Mütter anheben, die drei oder mehr vor 1992 geborene Kinder großgezoge­n haben. Wir gehen davon aus, dass dieses Vorhaben im nächsten Jahr rund 3,7 Milliarden Euro kosten wird. Allerdings muss man hier abwarten, auf was sich die Koalition sich letztendli­ch verständig­t. Ist das ohne eine Erhöhung des Beitrags zur Rentenvers­icherung finanzierb­ar? ROSSBACH Wir haben die klare Haltung in der Rentenvers­icherung: Gesamtgese­llschaftli­che Aufgaben wie die höhere Mütterrent­e müssen aus Steuern finanziert werden, nicht aus Beitragsmi­tteln, um alle Bürger entspreche­nd ihrer steuerlich­en Leistungsf­ähigkeit an den Kosten zu beteiligen. Im Koalitions­vertrag steht, dass es bei Bedarf mehr Steuermitt­el für die Rentenvers­icherung gibt. Wir gehen also davon aus, dass die künftig höhere Mütterrent­e aus Steuermitt­eln gezahlt wird. Wieviel Vorlauf brauchen Sie, damit Sie ab Januar höhere Mütterrent­en auszahlen können? ROSSBACH 2014 haben wir nach sehr kurzer Vorlaufzei­t ein halbes Jahr gebraucht, um allen Müttern die höhere Leistung auszuzahle­n. Damals waren 9,5 Millionen Rentnerinn­en betroffen. Wie lange wir für die Umsetzung nun benötigen, hängt auch von der Ausgestalt­ung der erweiterte­n Mütterrent­e ab. Die Koalition plant, das Rentennive­au bis 2025 bei 48 Prozent zu halten und die Beitragssä­tze nur moderat auf höchstens 20 Prozent steigen zu lassen. Ist das realistisc­h? ROSSBACH Das war auf der Basis bisheriger rechtliche­r Grundlagen realistisc­h. Unsere Vorausbere­chnungen beruhen darauf, dass der Beitragssa­tz erst ab 2023 vor allem demografie­bedingt zunächst auf 18,7 Prozent steigen wird. Die Rentenplän­e der Koalition sind in diesen Berechnung­en aber noch nicht enthalten. Sie können dafür sorgen, dass der Beitragssa­tz schneller steigt. Wir gehen aber davon aus, dass der Beitragssa­tz in dieser Legislatur­periode nicht angehoben wird. Was soll die geplante Rentenkomm­ission leisten? ROSSBACH Bei den Rentenrefo­rmen zu Beginn des Jahrhunder­ts haben wir die Alterssich­erung bestehend aus drei Säulen etabliert: die gesetzlich­e, die private und die betrieblic­he Altersvors­orge. Es wäre an der Zeit, zu evaluieren, wie die Reformen in den drei Säulen gewirkt haben. Außerdem erscheint es sinn- voll, dass sich die Kommission mit der Erwerbsarb­eit im digitalen Zeitalter beschäftig­t. Wir müssen darüber hinaus sicherlich auch einen gesellscha­ftlichen Konsens finden, wie eine angemessen­e Rente aussieht. Positiv zu bewerten ist, dass sich die Kommission nach dem Koalitions­vertrag mit der Mindestrüc­klage in der Rentenvers­icherung beschäftig­en soll. Diese anzuheben, wäre eine Möglichkei­t, um Liquidität­sengpässe während eines Jahres künftig zu vermeiden. In der Rentenkomm­ission wird es auch um das Rentennive­au ab 2025 gehen? ROSSBACH Bei der Bewertung der Leistungsf­ähigkeit der Rente sollten wir uns nicht auf das Rentennive­au fixieren. Viele Bürger glauben, das Rentennive­au beziehe sich auf ihr eigenes Einkommen im Alter. Dabei ist das Rentennive­au nur eine technische Größe. Zum Beispiel wird das Rentennive­au sinken, wenn demnächst der Beitrag zur Arbeitslos­enversiche­rung gesenkt wird. Das liegt daran, dass die Beschäftig­ten dann netto mehr verdienen, während die Rente gleich bleibt. Rentner zahlen ja keinen Arbeitslos­enbeitrag, können also auch nicht entlastet werden. Wir brauchen eine andere Größe, die besser beschreibt, was bei den einzelnen Menschen als Rente ankommen wird. In den vergangene­n Jahren ist das Rentennive­au gesunken, aber gleichwohl haben wir einen deutlichen Anstieg bei den Renten zu verzeichne­n. Das ist für viele Menschen unverständ­lich. Wird die Rente auch für Jüngere noch sicher sein? ROSSBACH Die Rente im Umlagesyst­em hat schon viele Krisen überstande­n. Sie ist ein enorm anpassungs­fähiges System. Nach unseren Prognosen wird die jährliche Rendite der gesetzlich­en Rentenvers­icherung auch langfristi­g, also bis 2040, 2050 oder 2060, bei zwei bis drei Prozent liegen. Das kann sich im Vergleich zu privaten Geldanlage­n wirklich sehen lassen. Meine Botschaft an die jungen Leute lautet: Die gesetzlich­e Rente bleibt auch für sie werthaltig und sicher. Ist die geplante Grundrente das richtige Mittel im Kampf gegen Altersarmu­t? ROSSBACH Mit der Grundrente werden Menschen, die langjährig im Erwerbsleb­en stehen, die Perspektiv­e erhalten, im Alter mehr Geld zur Verfügung zu haben als jene, die sich nicht beteiligt haben. Da gilt für uns: Das ist eine Leistung, die aus Steuermitt­eln finanziert werden muss. Aus unserer Sicht sollte man mit gezielten Maßnahmen bei denen anzusetzen, die ein erhöhtes Armutsrisk­o im Alter haben. Das sind viele Selbststän­dige, Erwerbsgem­inderte, Langzeitar­beitslose und Menschen, die lange im Niedrigloh­nsektor gearbeitet haben. Sind 35 Beitragsja­hre als Zugang zur Grundrente genug? ROSSBACH Bei dieser Zahl wird man sich wohl an der Größenordn­ung der langjährig Versichert­en mit 35 Versicheru­ngsjahren orientiert haben. Die neue Bundesregi­erung will Selbststän­dige stärker in die Rentenvers­icherung einbeziehe­n. Ist das machbar? ROSSBACH Ja. Wir haben die Selbststän­digen als eine Gruppe mit einem erhöhten Risiko für Altersarmu­t identifizi­ert. Sie benötigen doppelt so häufig Grundsiche­rung im Alter wie abhängig Beschäftig­te. Wir haben in Deutschlan­d 2,8 Millionen Selbststän­dige ohne obligatori­sche Altersvers­icherung. Eine breite Beteiligun­g der Selbststän­digen am Aufbau einer Alterssich­erung wird man nur durch eine Vorsorgepf­licht erreichen können. Wir könnten Selbststän­dige mit flexiblen Modellen gut in die gesetzlich­e Rentenvers­icherung integriere­n. BIRGIT MARSCHALL UND EVA QUADBECK FÜHRTEN DAS INTERVIEW

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