Ein Besuch im Kohlemuseum
In Zeiten des Klimawandels hat Kohle einen schlechten Ruf. Eine Ausstellung würdigt den Stoff respektvoll und kritisch zugleich.
ESSEN Ende dieses Jahres werden die beiden letzten Steinkohlenzechen in Deutschland ihre letzte Schicht „verfahren“. So heißt das in der Bergmannssprache, und das ist nicht der einzige Begriff, der aussterben wird, wenn es auch in Prosper-Haniel Bottrop und in Anthrazit Ibbenbüren für immer heißt: Schicht im Schacht. Man könnte darüber hinweggehen und sich freuen, dass künftig weniger Kohlenstoffdioxid das Klima belastet. Die Essener Stiftung Zollverein aber setzt der Kohle, diesem Gestein aus Pflanzenresten, zuvor noch ein verdientes Denkmal. Mit einer Ausstellung in den hohen Hallen der Mischanlage auf der Kokerei Zollverein feiert sie „Das Zeitalter der Kohle. Eine europäische Geschichte“und vergisst dabei die Opfer nicht, die diese staubige, unfallträchtige 200-jährige Ära gefordert hat.
Das Zeitalter der Kohle erschließt sich in Essen von oben. Wie einst die Arbeiter, die Kohle in den für die Industrie geeigneten, stark kohlenstoffhaltigen Koks verwandelten, fährt man mit einer sogenannten Standseilbahn auf das oberste Stockwerk der Kokerei. Der Anblick eines riesigen Quaders aus Kohle und die erhebende Aussicht von einer Dachterrasse auf das umliegende Ruhrgebiet stimmen bereits auf den folgenden Rundgang über vier Geschosse ein. Zwischen nackten, hohen Betonwänden führt die Ausstellung vor, was den Alltag der Bergleute bestimmte. Neben originalen Förderbändern trifft man auf Helme und Keilhauen (das sind Spitzhacken), auf Loren und Rettungswesten.
Ein Stockwerk tiefer sind über einem sogenannten Abteufkübel – ein mächtiges stählernes Fördergefäß – Schaufeln, Bohrer und anderes Gerät zu einer Installation vereint, die ein schätzungsweise 15 Meter hohes Treppenhaus füllt. Grobes Werkzeug und kunstvoll Gestaltetes lösen einander ab. Nebenan erzählt eine Abteilung zur Gaserzeugung davon, wie man Kohle in Gas überführte und mit Leuchtgas die Städte erhellte. Tisch-Gaslämpchen sorgten für Helligkeit im Inneren, von der Decke der Kokerei herabhängende große Lampen verbreiteten ihr Licht im Freien.
Überall zeigt sich, dass das schwarze Gold der Grundstoff der Moderne war. Besonders augenfäl- lig wird das in der Abteilung Kohlechemie. Auf einem riesigen Glasregal reihen sich Fläschchen mit Stoffen zur Herstellung von Farben aneinander. Als Basis dient Teer, diese zähflüssige, tiefschwarze Substanz, die sich aus Kohle, Holz und anderen organischen Materialien gewinnen lässt. Der Kohlechemie verdankt die Menschheit auch zahlreiche Medikamente, darunter die 1897 erstmals in den Farbenfabriken Bayer künstlich hergestellte Acetylsalicylsäure. Unter dem Namen Aspirin erlangte diese Erfindung Weltruhm. Kohle diente außerdem ebenso als Basis der Entwicklung von Kunststoffen und zur Schaffung künstlichen Kautschuks. Das Gummi wird zum Beispiel zur Herstellung von Autoreifen verwendet.
Weiter geht es mit Fotografien. Sie erzählen vom Alltag der Bergleute: von Bergmannskapellen und Kirmesfreuden, mit Dokumenten zur Bedeutung der Gewerkschaften und zu jener unseligen Tatsache, dass um Kohle Weltkriege geführt wurden.
Im Erdgeschoss lenkt diese Ausstellung, die 1000 Objekte von 100 Leihgebern umfasst, den Blick der Besucher auf die Fragen, was wir der Kohle verdanken und worin ihr Vermächtnis besteht. Ein Modell des 102 Meter hohen Atomiums, das eine aus neun Atomen bestehende Zelle des Kristallmodells des Eisens darstellt und 1958 zum Wahrzeichen der Brüsseler Weltausstellung wurde, erinnert an neue Wege der Energiegewinnung. Zuvor hatte bereits Öl die Kohle aus ihrer führenden Rolle gedrängt. Zwischen den riesigen Trichtern der originalen Raum-Ausstattung erinnert dieser letzte Teil der Schau an den langen, schon Ende der 1950er Jahre einsetzenden Abschied von der Kohle, auch Strukturwandel genannt.
Im Keller schließlich kann man anhand von Videoaufzeichnungen verfolgen, wie Bergleute den absehbaren Untergang ihres Berufs empfunden haben. Das ist das wehmütig stimmende Ende eines Rundgangs durch 200 Jahre Industriegeschichte – von der Idee des Menschen, 1,5 Kilometer in die Tiefe vorzudringen, um Kohle zutage zu fördern und ihr Anwendungsmöglichkeiten zu eröffnen, über den dadurch erlangten Fortschritt der Menschheit bis zu einem Ende, das nur für Deutschland gilt. Weltweit sollen gerade 1500 neue Kohlekraftwerke geplant sein.