Rheinische Post Langenfeld

Das Spiel ist aus

- VON GIANNI COSTA

MADRID/MÜNCHEN Der Tag danach begann früher als geplant. Im noblen Hotel VP Plaza Espana Design heulte gegen fünf Uhr in der Früh der Feueralarm für einige Minuten auf. Der komplette Tross des deutschen Fußball-Rekordmeis­ters FC Bayern München musste die Zimmer verlassen. Erst nach knapp einer halben Stunde gab es Entwarnung. Es passte zu einem Arbeitsaus­flug, der so gar nicht zum bajuwarisc­hen Selbstvers­tändnis der Unbezwingb­arkeit passte. Nach dem „Heldentod“gegen Real Madrid schwankte die Stimmung bei der Mannschaft von Trainer Jupp Heynckes zwischen riesiger Enttäuschu­ng und Wut über eigene Unzulängli­chkeiten. Und flugs wurden gleich eine Reihe von angebliche­n Baustellen bei den Münchnern ausgemacht. Versuch einer Einordnung. Bundesliga ist schuld Ein zuletzt häufig angebracht­es Argument. Weil der FC Bayern im nationalen Wettbewerb seit Jahren kaum bis gar nicht mehr von einem echten Konkurrent­en gefordert wird, ist der Klub im Wettstreit nicht ausrei- chend gerüstet. Tatsächlic­h ist die Überlegenh­eit erdrückend – es ist nunmehr schon der sechste Titelgewin­n in Folge. Und Besserung ist für die kommenden Jahre nicht in Sichtweite. Die Bayern stellen sich gerne auf den Standpunkt, dass sie nichts für die Entwicklun­g könnten. Im gleichen Atemzug kaufen sie einem anderen Klub aber das nächste große Talent weg. Diese Praxis ist nicht neu, und Wettbewerb ensteht so gewiss nicht. Die Saison verdichtet sich für München immer mehr auf drei, vier Partien pro Spielzeit, in denen es wirklich um etwas geht.

Stimmt die These? Ja, aber es ist nicht der signifikan­te Grund. Lewandowsk­i ist schuld Der Pole Robert Lewandowsk­i ist seit 2014 beim FC Bayern engagiert. Sein Marktwert ist bis heute laut dem Internetpo­rtal „Transferma­rkt“von 50 auf 90 Millionen Euro angestiege­n. Dem Vernehmen nach verdient er an der Säbener Straße per anno zehn Millionen Euro. Bislang hat er 149 Treffer erzielt – im Hin- und Rückspiel des Halbfinals der Champions League indes keins, weshalb sich erste Kritiker bemüßigt fühlten, Lewandowsk­i für das Scheitern mitverantw­ortlich zu machen. Wer, so hieß es mitunter, in diesen Spielen nicht treffen würde, sei ein doppelt so hohes Gehalt, wie von Lewandowsk­i gefordert, nicht wert. Es stimmt: Lewandowsk­i ist kein Cristiano Ronaldo. Was allerdings auch keine ganz so überrasche­nde Erkenntnis ist. Lewandowsk­i ist deutlich abhängiger davon, von seinen Mitspieler­n mit Pässen bedient zu werden. Gleichwohl hat er schon oft genug seine Klasse auch internatio­nal nachgewies­en.

Stimmt die These? Nein.

Ulreich ist schuld Besonders geistreich­e Beobachter fühlten sich nach dem Patzer von Sven Ulreich ernsthaft zur Erkenntnis berufen, der 29Jährige sei „Koan Neuer“– welch’ Feststellu­ng! Das hatte aber auch keiner behauptet. Niemand, inklusive Ulreich, stellte und stellt in Frage, dass Manuel Neuer die absolut unangefoch­tene Nummer eins beim FC Bayern und der Nationalma­nnschaft ist. Nur ist Neuer schon eine ganze Weile verletzt, und Ulreich hat die Vertretung durch und durch souverän gemeistert. Sollte mittelfris­tig absehbar sein, dass Neuer nicht mehr oder nicht in alter Stärke zurückkehr­en kann, würde man in München sicher nach einer neuen Nummer eins Ausschau halten. Es wäre schlicht unrealisti­sch, zwei Schlussmän­ner von gleich hoher Qualität im Kader zu haben.

Stimmt die These? Nein. Heynckes ist schuld Für Jupp Heynckes war es der Abgang von der ganz großen Bühne. Kein anderer Trainer mit mindestens so vielen Partien hat eine so hohe Siegquote (68 Prozent) wie der gebürtige Mönchengla­dbacher. „Leider sind wir nicht im Endspiel. Das bedeutet für meine Spieler und für mich eine große Enttäuschu­ng“, sagte Heynckes. „Das 2:2 bedeutet für uns eine Niederlage.“Heynckes soll eine bewegende Kabinenans­prache, wie Anwesende berichtete­n, gehalten haben. Er rühmte seine „Truppe“, mit der er die Zeit zurückdreh­en und das Triple von 2013 wiederhole­n wollte. „Ich habe den FC Bayern in der Verfassung, in der Form schon viele Jahre nicht mehr gesehen“, sagte der Coach nach 97 Minuten „Fußball vom Feinsten, Fußball, den man selten in Europa sieht“.

Stimmt die These? Nein. Bayern sind selbst schuld Es ist recht simpel – die Bayern waren in beiden Partien mindestens gleichwert­ig, haben aber am Ende zu viele Nachlässig­keiten begangen. „Es liegt nicht an irgendwas Grundsätzl­ichem, dass es nicht reicht“, analysiert­e Kapitän Thomas Müller. „Das Einzige, was sich in den letzten Jahren wiederholt in den Spielen, in denen wir ausscheide­n: Wir machen zu viele deutliche individuel­le Fehler, ob es verschosse­ne Elfmeter sind, ob es Rote Karten sind.“Im Hinspiel hatte Rafinha ein Torgeschen­k zum 1:2 gemacht. In Madrid war es Ulreich.

Stimmt die These? Ja.

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FOTO: GETTY Eine Nacht in Madrid: Sven Ulreich (FC Bayern München) sitzt nach seinem Fehler traurig auf dem Rasen des Estadio Santiago Bernabéu – von seinen Mannschaft­skollegen ist niemand in Sichtweite.

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