ANALYSE Nach
Betrugs- und Missbrauchsskandalen im Umfeld der Jury hat die Schwedische Akademie entschieden, in diesem Jahr keinen Literaturnobelpreis zu vergeben. Der Faszination dieser Ehrung wird aber auch das nicht schaden.
Mag sein, dass die Jury unnahbar erscheint, selbstherrlich ist sie auf jeden Fall – weil jedes Gremium dieser Art in gewisser Weise selbstherrlich sein muss. Wie sonst könnte man eine Entscheidung unter zahllosen guten Kandidaten weltweit wirklich treffen? Jede Wahl ist und muss in diesem Sinne ungerecht sein. Doch beim Nobelpreis kommt erschwerend hinzu, dass die Akademie-Mitglieder skandinavischer Herkunft sein müssen und das Übergewicht europäischer und nordeuropäischer Preisträger auch diesem Umstand geschuldet zu sein scheint. Und wer ist nicht schon alles verschmäht worden? James Joyce etwa, John Updike, Thomas Pynchon, J.D. Salinger, Philip Roth.
Ein anderes Relikt der Akademie ist diese alberne Amtsinhaberschaft auf Lebenszeit, die es mit Rücktritt von Benedikt XVI. selbst beim Papsttum nicht mehr gibt. Auch wenn Vorschläge aus aller Welt in Stockholm eintreffen, so bleibt es doch die immer gleiche Schar der Juroren mit ihren immer gleichen Vorlieben. Alles spricht also dafür, die Statuten unerschrocken zu überdenken und klug zu überarbeiten. So wie es die Schriftstellerin Sibylle Lewitscharoff gewohnt handfest formuliert: „Da muss einfach mal ausgemistet werden, einmal mit dem Besen durch, dann machen wir weiter.“
Leichter gesagt als getan. Dass man jetzt die Preisverleihung nur um ein Jahr verschiebt und sich an alte Regeln zu halten versucht, lässt den unguten Verdacht aufkommen, dass die Änderungen zur Lösung dieses Problems dezent ausfallen könnten. Der Literaturnobelpreis ist so, wie er sich präsentiert, purer Anachronismus. Es gäbe 1000 Gründe, ihn nicht mehr ernst zu nehmen. Doch alle Bedenklichkeiten werden das Interesse an dieser mit 750.000 Euro dotierten Ehrung und die Hysterie um jeden Preisträger kaum mindern. Vielleicht ist es ja genau dieser verstaubte Laden, der uns so fasziniert.
Auf Dauer ist ein Anachronismus nur bedingt unterhaltsam. Die Pause in diesem Jahr ist eine Chance für die Akademie, den Preis und – um sie nicht ganz zu vergessen – die Literatur.