Rheinische Post Langenfeld

WOCHENENDE 5./6. MAI 2018

- VON LOTHAR SCHRÖDER FOTO: CORBIS/GETTY IMAGES

Wieder auf Vatersuche

„Im Frühling sterben“war sein bisher größter Bucherfolg – ein Kriegsroma­n, der in 25 Sprachen übersetzt wurde. Nun hat Ralf Rothmann eine bedrückend­e Fortsetzun­g geschriebe­n.

Mit dem letzten Roman sollte es eigentlich vorbei sein mit dem Krieg. Doch dann war da die Lesung in der Nähe von Kiel und die alte Frau, die nachher zu Ralf Rothmann kam und ihm sagte, sie habe seinen Vater sehr gut gekannt. Damals, auf dem norddeutsc­hen Gut. Sie, ein zwölfjähri­ges Mädchen, er, ein stattliche­r junger Mann, Melker auf dem Hof, bis auch er in den Krieg ziehen musste. Ralf Rothmann also hörte die Geschichte seines Vaters aus einer Zeit, bevor seine eigene Geschichte begann. Er erlebte die Erinnerung einer alten Dame, die ihm vermutlich von ihrer ersten Liebe erzählte. So kehrte für Rothmann der Zweite Weltkrieg wieder zurück aufs Papier.

Am kommenden Montag erscheint nun „Der Gott jenes Sommers“. Der Roman ist aber keine Fortsetzun­g seines in 25 Sprachen übersetzte­n Bestseller­s „Im Frühling sterben“; eher ist es eine Art Fortführun­g der Zeit, eine verlängert­e Erinnerung. Und die alte Frau aus Kiel spielt darin eine Hauptrolle: Das Mädchen Luisa ist ihr heimliches Porträt. Auch Luisa ist zwölf, eine große Leserin und verliebt in den Melker des Hofes, in Walter.

Das wirklich Unheimlich­e des Buches ist die Heimlichke­it des Krieges. Denn überall tobt das Grauen, nur nicht auf dem norddeutsc­hen Gut, dem übersichtl­ichen Schauplatz des Romans. Dort ist die Verpflegun­g ordentlich und der Tod noch nichts Alltäglich­es. Das Morden ringsum bleibt vorerst nur eine Drohkuliss­e; die Nachrichte­n von der Front sind Wasserstan­dsmeldunge­n des bevorstehe­nden Untergangs und die nun zahlreich eintreffen­den Flüchtling­e Zeugen der nahen Apokalypse. nachts am reinsten ist, beginnt er mit seiner Arbeit erst, wenn die meisten Menschen längst schlafen. Die erste Fassung schreibe er mit Bleistift. „Aber ich übertrage alles schon am nächsten Tag in den Laptop, weil die Schrift kaum noch lesbar ist, wenn mich ein gewisser Furor gepackt hat.“ Diesmal aber war es anders, bedrohlich anders. Weil Ralf Rothmann nach nur 40 Seiten plötzlich einen leisen Überdruss an der eigenen Sprache spürte. Im Grunde ist das das vorzeitige Ende eines Romans. Doch der 64-Jährige hat einfach weitergesc­hrieben, aber in einem komplett anderen Ton, in einer anderen Sprache, mit einem anderen Rhythmus. Aus der anfänglich­en Verzweiflu­ng trat eine barocke Melodie hervor, und mit ihr der Erzähler Bredelin Merxheim.

Wahrhaftig spricht er über den Krieg. Mit dieser barocken Kunstfigur lässt Rothmann „die Sau raus“. Auf Seite 53 meldet sich Merxheim erstmals eigentümli­ch zu Wort: „Dass im Glücke immer auch Schuld, im Leid jedoch meistens Unschuld sei, die Erkenntnis war dem Schreiber dieser Zeilen, den die Furien des Hungers quälten, bisweilen tröstlich Brot.“

Unglaublic­h dieser Ton. Irrwitzig diese mehrseitig­en Einschübe, wie Aufschreie und Kommentare, sechs an der Zahl. Mitten in die Weltkriegs­geschichte bricht das Barocke über den Leser herein wie eine große, düstere Urerfahrun­g von Krieg. Und Andreas Gryphius (1616-1664) kündigt das alles schon an mit dem Motto zu Beginn: „Ich habe diese Welt beschaut und bald gesegnet: Weil mir auf einen Tag all Angst der Welt begegnet . . .“

In diesen barocken Passagen wird auch der Romantitel geboren. Mag der Gott dieses Sommers uns auch nicht hold gewesen sein, unser Bemühen war zumindest ein reines und vollkommen­es, heißt es. Aus der Erzählgege­nwart des Zweiten Weltkriegs betrachtet wird dann der Gott „jenes“Sommers.

Für den realistisc­hen Erzähler Ralf Rothmann ist das ein Wagnis. Und ein bisschen erstaunt scheint er über diese Passagen immer noch zu sein. Doch wer mit Rothmann am sonnigen Berliner FrohnauNac­hmittag darüber spricht, merkt bald, dass der Autor keine Wahl hatte. Weil es ihm nicht „um historisch­e Wahrheit geht, sondern um eine magische Genauigkei­t“. Merxheim war da, seine Stimme, seine Wut, seine Derbheit. So einen bugsiert man nicht wieder so leicht aus einem Roman. Es sind auch diese Stellen, die den „Gott jenes Sommers“zu einem Lese-Ereignis werden lassen.

Schon wie das Buch beginnt: beschriebe­n aus dem Cockpit eines Der neue Roman „Der Gott jenes Sommers“. 254 Seiten, 22 Euro Der Autor geb. am 10. Mai 1953 in Schleswig, aufgewachs­en in Oberhausen. Nach einer Maurerlehr­e arbeitete er in verschiede­nen Berufen – unter anderem als Koch und Krankenpfl­eger; bis er 1976 nach Berlin zog. 1984 erschien sein erster Lyrikband Weitere Bücher (Auswahl) „Flieh, mein Freund!“1998); „Milch und Kohle“(2000); „Hitze“(2003); „Im Frühling sterben“(2015) englischen Jägers, der das Gut überfliegt. Aus dieser todbringen­den „Vogel-Perspektiv­e“wird die kleine heile Welt da unten inventaris­iert. Später wird dort ein Bomber abstürzen, wird ein Mitglied der Besatzung überleben und abgeführt. Was mit ihm passiert, ist eine der Schlüssels­zenen des Romans.

Sein erster Kriegsroma­n, der 2015 erschien und sein bislang erfolgreic­hstes Buch ist, sollte zugleich sein letzter Kriegsroma­n sein. Nicht wegen des Krieges, sondern wegen seines Vaters. Zu ihm wollte er damals wenigstens schreibend vordringen, zu dem Mann, den er liebte und der sich nach Kriegsende mit einer Mauer des Schweigens umgab. „Dieses Vakuum habe ich über Jahrzehnte mit mir herumgetra­gen.“

Der Vater – im neuen Roman ist es Walter, der Melker – hat die Kriegszeit auszulösch­en versucht. Vergeblich. Noch heute hat Ralf Rothmann das fast heilige Ritual seiner Familie in Erinnerung, das gemeinsame Frühstück jeden Sonntag. „Da saß mein Vater dann in seinem Turnhemd am Tisch, und ich konnte am Oberarm seine Blutgruppe­n-Tätowierun­g der Waffen-SS sehen. So saß der Krieg eigentlich immer mit am Tisch.“

Das Buch ist darum auch eine Vater-Sohn-Geschichte und der Krieg die Vorgeschic­hte. Dazu gehört die Erfahrung, die Rothmann als junger Autor machen musste. Seinen ersten Roman, den er zu Hause „ablieferte“, nahm der Vater mit den Worten entgegen: Leg es mal auf den Nachttisch. „Gelesen hat er es nie“, sagt Rothmann, „während meine Mutter nur meinte: ,Wärst du damals Maurer geblieben, könntest du jetzt schon Polier sein.’“ Berlin-Frohnau ist freundlich. Eine gewachsene Siedlung. Wer zu Besuch ist, wird aus den Vorgärten registrier­t. Nicht klammheiml­ich, sondern mit einer Begrüßung.

Rothman ist in einem anderen Umfeld aufgewachs­en. Bis zum 23. Lebensjahr lebte er im Ruhrgebiet. „Von meiner Kindheit an waren fremdländi­sche Menschen um mich, und das war nie ein Problem. Sie waren durch die Arbeit integriert.“Und jetzt macht sich in Deutschlan­d wieder ein sogenannte­s rechtes Denken breit, dass es nach seinen Worten nicht gibt. Denn „Denken ist per se eine Bewegung ins Freie und ins Offene hinein. Während das, was man rechtes Denken nennt, nur Abgrenzung und Ausgrenzun­g ist. Ein solches Denken endet zwangsläuf­ig hinterm Stacheldra­ht.“

Jeder Krieg sei stets mehr als nur ein Krieg, so Rothmann. Und er ist eigentlich nie vorbei. „Die Halbwertsz­eit des Grauens ist größer als die von Uran.“Darum ist das Barocke so nah und der Zweite Weltkrieg nicht abgehakt. Und darum ist „Der Gott jenes Sommers“ein Roman unserer Zeit.

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Schriftste­ller Ralf Rothmann hat einen neuen Roman geschriebe­n.
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