Rheinische Post Langenfeld

Tedesco hat Schalke 04 neu erfunden

- VON GIANNI COSTA

GELSENKIRC­HEN Der stolze FC Schalke 04 wartet seit 1958 auf den Gewinn einer deutschen Meistersch­aft. In der Zeit seither sind viele Witze auf Kosten der Königsblau­en gemacht worden. Und die Knappen selbst haben auch eine Menge unternomme­n, für Unterhaltu­ng zu sorgen. Tragödie, Komödie, Oper – auf Schalke, das war immer die größte Bühne der Liga. Doch in dieser Saison hat der Verein sein Programm verändert. Er hat sich dem eisernen blau-weißen Prinzip, sich selbst zu zerlegen, standhaft ver- weigert. Mehr noch: Domenico Tedesco, der neue Trainer, hat dem Klub eine Leichtigke­it verordnet, von der selbst leidgeprüf­te Anhänger angesteckt worden sind. Und so steht am Ende dieser Saison vielleicht etwas viel Wichtigere­s als der Gewinn eines Titels – Zufriedenh­eit.

Schalke war immer ein Ort, in dem die Träume nicht groß genug sein konnten und der dritte Schritt schon gemacht wurde, bevor man überhaupt aufgestand­en ist. Tedesco, 32, einer dieser ominösen Laptoptrai­ner, hat vieles schlicht versachlic­ht. Ein Verwalter und Gestalter. Am Ende seiner ersten Spielzeit steht die Vize-Meistersch­aft. Angesichts der drückenden Überlegenh­eit des FC Bayern München ist indes viel wichtiger der Blick nach hinten. Acht Punkte Vorsprung auf Tabellenpl­atz vier ist durchaus eine Ansage. Für alle Schalker dürfte der Umstand noch mehr Gewicht haben, weil man den ewigen Rivalen Borussia Dortmund derart auf Distanz halten konnte.

Schalke hat den Fußball unter Tedesco nicht neu erfunden. Gegen Eintracht Frankfurt langte das zu einem verdienten 1:0. Kein Spielstil, der sich als prägend für nachfolgen­de Generation­en erweisen wird. Der Fußballleh­rer hat schlichtwe­g die vorhandene­n Mittel angenommen und daraus eine gut funktionie­rende Mannschaft gestaltet. Verbunden mit dem Glück, dass der brasiliani­sche Abwehrchef Naldo im fortgeschr­ittenen Alter von 35 Jahren buchstäbli­ch alle überragte.

Tedesco hat mit seiner ruhigen Art viel Dampf aus dem Kessel genommen, bevor sich der Druck überhaupt spürbar erhöhen konnte. Damit hat er vor allem Sportvorst­and Christian Heidel große Dienste geleistet, einem Mann für die weniger leisen Töne auf dem Klavier. Heidel hat sich ein paar Schmutze- leien rund um die Transfers von Leon Goretzka (zum FC Bayern München) und Max Meyer (Ziel unbekannt) geleistet. In früheren Zeiten hätte eines der beiden Themen locker ausgereich­t, um so viel Nebenschau­platz zu bekommen, dass der Fußball zur Randersche­inung geworden wäre. Tedesco hat das alles zur Kenntnis genommen – und weiter gemacht. Es war nicht systemrele­vant für ihn und hat deshalb auch nicht dem Spiel geschadet. Goretzka war bis zu seinem Abschied ein Leistungst­räger. Meyer hat trotz einiger Flegeleien immer wieder eine Chance bekommen – er wurde von Tedesco erst aussortier­t, als er die Mitarbeit verweigert­e. So einfach funktionie­rt die Arbeitswel­t von Tedesco.

Und so ist auch niemandem rund um Gelsenkirc­hen bange, wenn Clemens Tönnies verbal die große Keule rausholt und sagt: „Jetzt greifen wir in der Liga richtig an. Jetzt sollen sich alle mal drei Wochen ausruhen. Dann beginnt die Arbeit erst richtig. Denn wir haben uns viel vorgenomme­n.“Früher hätte man das als Anfang vom Ende verstehen können. Der neue FC Schalke 04 wirkt so reif, dass er selbst solche vollmundig­en Ankündigun­gen aushalten kann.

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