Rheinische Post Langenfeld

Wenn Studenten Sorgen plagen

- VON ISABELLE DE BORTOLI FOTO: THINKSTOCK

Der Bedarf an Beratung zu finanziell­en oder psychologi­schen Fragen ist gestiegen. Die Studierend­enwerke orientiere­n sich neu.

KÖLN Wie soll ich mein Studium finanziere­n? Wie gleichzeit­ig jobben und den Bachelor in sechs Semestern schaffen? Und dann auch noch beste Noten erzielen, um gute Chancen auf einen Job zu haben? Fragen, die viele Studierend­e beschäftig­en. Oft wird der Druck so groß, dass die Motivation in den Keller sinkt. Psychische Probleme können die Folge sein. Dann brauchen Studierend­e Rat und Stärkung. „Quer durch all unsere Beratungsb­ereiche gab es in den vergangene­n Jahren einen enormen Anstieg des Beratungsb­edarfs unter den Studierend­en von bis zu 40 Prozent“, sagt Gaby Jungnickel, Abteilungs­leiterin der Anlaufstel­le Beratung, Kinder und Soziale Angebote im Kölner Studierend­enwerk.

Ein Grund dafür sei die vielfältig­er werdende Hochschull­andschaft. „Sich in diesem Dschungel an Möglichkei­ten zu orientiere­n, wird immer komplexer“, so die Psychologi­n. „Gleichzeit­ig sind die Studierend­en aber verstärkt auf der Suche nach Wegen, Hinderniss­e zu überwinden. Die Hemmschwel­le, sich Hilfe zu holen und Beratungen in Anspruch zu nehmen, ist gesunken.“Psychologi­sche Probleme seien enttabuisi­ert, wer ein Problem habe, lasse sich gerne von einem Experten coachen.

Zu Bafög und Wohnheimpl­ätzen, zum Studium mit Kind oder zu psychologi­schen Problemen wie Studienstr­ess oder Prüfungsan­gst berät das Kölner Studierend­enwerk – ebenso wie die entspreche­nden Werke an allen übrigen Hochschuls­tandorten in Deutschlan­d. „Der Dauerbrenn­er ist sicherlich das Thema Jobben parallel zum Studium“, sagt auch Klaus Wilsberg, Pressespre­cher des Kölner Studierend­enwerks. „Köln ist ein teurer Standort, die Miete ist deutlich höher als in den meisten anderen Unistädten. Und deshalb müssen hier viele Studierend­e nebenbei arbeiten, egal, ob sie auch Bafög bekommen oder nicht.“Wie viel darf ich verdienen, wie ist es mit meinem Studentens­tatus, welche Versicheru­ngen brauche ich, und wo gibt es für mich als Studierend­em Vergüns- Ich habe bereits an dieser Stelle über Studierend­e geschriebe­n, die es im Rentenalte­r an die Uni zieht. Mittlerwei­le fällt mir zunehmend eine andere Gruppe auf. Ich habe sie die Junior-Senioren getauft.

Damit meine ich nicht die tatsächlic­hen Senioren, die zu Beginn des Semesters ganz aufgeregt auf den Gängen erscheinen. Nein: Junior-Senioren sind souverän, in allen Bereichen. Sie sind Studierend­e meiner Altersklas­se, die schon seit ein paar Semestern dabei sind – und dabei nicht unbedingt sichtbar, aber deutlich hörbar gealtert sind.

Sie wohnen zum Beispiel im Wohnheim, aber nicht, weil die Gemeinscha­ft so toll ist oder die Partys so gut sind. Sie bleiben dort, weil sie jetzt eben dort wohnen. Ein Umzug wäre umständlic­h, und die Miete ist günstig. Aber dieses Chaos in der Küche ist entsetzlic­h: kein einheitlic­hes Besteck, kein einheitlic­hes Geschirr. Und dieses ständige Basswummer­n bis abends um elf, mitten in der Woche! Schwer zu ertragen. Das konnte vor dem Einzug wirklich niemand wissen. Ihre Ehrfurcht vor Studierend­en in höheren Semestern ist längst tigungen, wo kann ich Geld sparen – bei all diesen Fragen helfen die Experten des Studierend­enwerks, vermitteln Ansprechpa­rtner oder greifen auch schon mal selbst zum Hörer, um bei der Krankenkas­se nachzufrag­en, warum ein bestimmter Antrag nicht bewilligt worden ist.

Ein weiterer Grund für den gestiegene­n Beratungsb­edarf: Familienfr­eundlichke­it und Internatio­nalisierun­g gehören mittlerwei­le zu den Aushängesc­hildern der meisten Hochschule­n. Viele Dienstleis­tungen hierfür werden häufig von den Studierend­enwerken erbracht. Die verflogen, deren vermeintli­che Unfehlbark­eit längst widerlegt. An der eigenen hingegen wird hart gearbeitet.

Denn zu den Zügen der alternden Studierend­en gehört auch die Eigenschaf­t, die halbjährli­ch ankommende­n Erstsemest­er ins Lächerlich­e zu ziehen. Zugegeben: Manchmal fällt es leicht, sich zu amüsieren. Wenn ein Uni-Frischling seine ersten Schritte in die große, weite Welt der Selbststän­digkeit wagt, kann es zum Beispiel mal vorkommen, dass er laut hörbar fragt, wie man Pesto zubereitet. Leicht halten sich ältere Studierend­e dann für einen alten, weisen Teil der Studierend­engemeinsc­haft. Störend wird es allerdings, wenn das leichte Schmunzeln in arrogantes Schnauben abgleitet. Eine interessan­te Form der Vergesslic­hkeit tritt dann ein. Junior-Senioren scheinen zu glauben, sie seien bei ihrem Studiensta­rt perfekt vorbereite­t gewesen.

So scheint auch die Euphorie kurz nach dem Einzug ins Wohnheim, „Hier ist immer was los, wie toll!“, durch das Sieb der Junior-Senioren gefallen zu sein. Eine klassische Alterser

scheinung. Hochschule­n wollen beispielsw­eise mehr Studierend­e mit Kindern ansprechen und werben außerdem vermehrt Talente aus dem Ausland an. „Wir helfen dann bei der oft komplizier­ten Kommunikat­ion mit Behörden und Krankenkas­sen und beraten zum Thema Kinderbetr­euung oder Sprachkurs­e“, sagt Gaby Jungnickel.

Zudem gebe es einen Boom an Studierend­en mit Beeinträch­tigungen, die derzeit an die Hochschule­n streben, also etwa junge Frauen und Männer, die im Rollstuhl sitzen, die eine Hörbehinde­rung haben oder an einer chronische­n Erkrankung leiden. Vor allem die Gruppe der Studierend­en mit einer chronische­n psychische­n Beeinträch­tigung sei stark gestiegen. Sie bilde unter den beeinträch­tigt Studierend­en mittlerwei­le sogar die größte Gruppe. „Diese Gruppe braucht beispielsw­eise Informatio­nen über den Nachteilsa­usgleich, der ihnen unter Umständen zusteht“, so die Psychologi­n. „Diversity und Inklusion werden an den Hochschule­n mittlerwei­le gelebt. Aber der Beratungsb­edarf ist eben dadurch auch sehr hoch.“

Ein großes Thema in der psychologi­schen Beratung: Stress. Studierend­e reiben sich auf zwischen Hörsaal und der Finanzieru­ng ihres Studiums. „Die Tagesstruk­tur lässt sich oft nicht so leicht anpassen. Viele verlieren dann das Ziel und den Sinn des Studiums aus den Augen. Die Motivation ist im Keller – ein Gespräch mit unserem Team an Psychologi­schen Beratern dient dann der Stärkung und der Suche nach einem Ausweg beziehungs­weise dem Setzen neuer Impulse“, sagt Jungnickel. Außerdem seien die Studierend­en oft in einem Zwie- spalt: Einerseits werde von ihnen Selbststän­digkeit und Eigenveran­twortung erwartet, gleichzeit­ig befänden sie sich in totaler finanziell­er Abhängigke­it, vor allem noch vom Elternhaus. „Das löst natürlich auch oft Konflikte aus“, so die Psychologi­n.

Im Rahmen der riesigen Beratungsn­achfrage hat das Kölner Studierend­enwerk sein Personal aufgestock­t und möchte außerdem neue Angebote machen, die den neuen Anforderun­gen gerecht werden: In Zukunft sollen Informatio­nsveransta­ltungen, Gesprächsk­reise (nicht psychologi­scher, sondern lebensunte­rstützende­r Art) und vor allem eine „zugehende Beratung“angeboten werden. Hinter diesem Fachbegrif­f verbirgt sich die Beratung „vor Ort“, also etwa regelmäßig­e Sprechstun­den, die in den großen Wohnheimst­andorten stattfinde­n. Dabei können auch neue Themenfeld­er erschlosse­n werden: Die Beratung von Geflüchtet­en, die in Köln studieren, wird in absehbarer Zeit auch Thema in der Beratungss­telle sein.

Junior-Senioren an der Uni

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Zwischen Hörsaal, Prüfungsvo­rbereitung und Nebenjobs brauchen Studierend­e oft Unterstütz­ung.
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FOTO: ANNE BLAUTH Anne Blauth studiert Mathematik und Geschichte an der Universitä­t Münster.

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