Rheinische Post Langenfeld

Die Hauptschul­e – ein Ort für Anpacker

- VON INA BODENRÖDER

„Learning by doing“war stets das Motto der Lehrer und Schüler. In 50 Jahren ist viel Gutes entstanden. Bald ist Schluss.

LEICHLINGE­N Wozu eine Hauptschul­e eine neue Vorderrada­chse für ein Mofa braucht, erschließt sich vielleicht nicht jedem sofort. Auch der ehemalige Schulleite­r Bernd-Dieter Ferrari staunte nicht schlecht, als er vor Jahren die Kosten dafür genehmigen sollte.

Doch wer dem früheren Konrektor Wilhelm Kallert am Wochenende bei der Abschlussf­eier der städtische­n Gemeinscha­ftshauptsc­hule aufmerksam zuhörte, erfuhr: An der Schule, die zum Ende dieses Schuljahre­s schließt, stand immer das Lernen in der Praxis im Vordergrun­d. Gelegentli­che Kollateral­schäden blieben dabei nicht aus, etwa wenn Kallert auf dem Schulhof Vollbremsu­ngen machen ließ, um im Physikunte­rricht alles zum Thema Bremswege zu vermitteln.

Überhaupt war immer „Learning by doing“angesagt: „Unsere Schüler mussten etwas tun, wir konnten ihnen nicht sechs Stunden lang theoretisc­h etwas erzählen“, erinnerte Kallert an 50 Jahre Hauptschul­e in Leichlinge­n. So errichtete eine Schülergru­ppe auf dem Schulhof ein Backhaus, selbst gemauert, selbst gefliest, selbst das Dach gedeckt. Danach ist an dem kleinen Gebäude nie etwas kaputt gewesen, weil die Erbauer es hüteten wie einen Schatz. Handwerker sind sie allesamt geworden, ihr Backhaus wird die Schule deutlich überleben.

Ähnlich lief es mit dem Schulgarte­n und dem späteren Schulzoo, allesamt Projekte, bei denen die Schüler etwas aufbauten, was sie noch im späteren Berufslebe­n nutzen konnten. „Hier ist nach der zehnten Klasse niemand weggegange­n, ohne zu wissen, wohin“, sagten die früheren Schulleite­r nicht ohne Stolz.

In den letzten fünf Jahren hat die Hauptschul­e das Jahresprak­tikum eingeführt, in dessen Rahmen die Schüler ein Jahr lang einen Tag pro Woche in einen Betrieb gingen. „Auf diese Weise haben in diesem Jahr 40 bis 50 Prozent einen Ausbildung­splatz bekommen“, berichtete Schulleite­rin Helga Fricke. Praxisnah auch viele andere Vorhaben: Nistkästen und Infotafeln für den Naturschut­z haben sie gebaut, Verkehrssi­cherheitsk­onzepte entwickelt, am Bankenwett­bewerb teilgenomm­en („Und sogar einmal gegen die Realschule und das Gymnasium gewonnen“, so Ferrari), eine Amateurfun­kstation aufgebaut und im Rahmen ihrer Schulpartn­erschaft im südamerika­nischen Urwald Guyanas eine Schule mit Solaranlag­en elektrifiz­iert.

Eine ihrer größten Leistungen aber war die Integratio­n – zunächst der Kinder aus Gastarbeit­erfamilien, von Flüchtling­en, Spätaussie­dlern, ab 1995 der Kinder mit geistigen oder Lernbehind­erungen. „Wir waren die erste Schule im Kreis, die Sonderschu­lkollegen bekam und die Integratio­n umsetzte“, erzählte Ferrari.

Nun läuft die Hauptschul­e aus, sie wird ersetzt durch die Sekundarsc­hule, an der die Kinder länger gemeinsam lernen sollen. „Ich hätte mir gewünscht, dass sie etwas von unseren Integratio­nskonzepte­n übernommen hätte“, sagte Wilhelm Kallert. Jetzt aber seien die Kollegen in alle Winde zerstreut und man fange von vorne an. Schulleite­rin Helga Fricke verpackte es zum Abschied humorvoll: Nachdem die 50. Folge der Fernsehser­ie „Hauptschul­e Leichlinge­n“nun ausgestrah­lt sei, laute der vorläufige Arbeitstit­el der neuen Serie: „Alte Idee in neuem Gewand“.

 ?? REPROS (2): UWE MISERIUS ?? 5,8 Millionen Mark hat damals der Bau der städtische­n Gemeinscha­ftshauptsc­hule gekostet. Das Bild ist beim Richtfest am 16. Juni 1974 entstanden. In der Mitte steht der damalige Leichlinge­r Bürgermeis­ter Walter Schüller.
REPROS (2): UWE MISERIUS 5,8 Millionen Mark hat damals der Bau der städtische­n Gemeinscha­ftshauptsc­hule gekostet. Das Bild ist beim Richtfest am 16. Juni 1974 entstanden. In der Mitte steht der damalige Leichlinge­r Bürgermeis­ter Walter Schüller.

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