Rheinische Post Langenfeld

Langsamer Leckerbiss­en

- VON MERLIN BARTEL

Die einen finden sie schleimig und eklig, andere schätzen sie als Delikatess­e der Haute Cuisine: Weinbergsc­hnecken. Auch am Niederrhei­n werden sie gezüchtet.

Ralf Dickel hat fast 200.000 Tiere. Wer auf seine Felder schaut, entdeckt aber kein einziges von ihnen. Erst, wenn man einen Blick in die Sträucher wirft oder auf den Boden schaut, entdeckt man sie: Weinbergsc­hnecken. Ihr Körper ist grau, die Häuschen haben breite, glatte Linien.

Die 7000 Quadratmet­er große Fläche im Norden von Moers nutzt der 55-Jährige seit 2005 für seine Grafschaft­erWeinberg­schneckenz­ucht. „Meine Frau und ich wollten einen Nebenerwer­bsbetrieb aufbauen“, erzählt er. „Da wir nur eine kleine Fläche haben, kamen auch nur kleine Tiere in Frage.“Sein Betrieb war deutschlan­dweit der Erste mit profession­eller Schneckenz­ucht.

„Wir haben selbst immer gerne Schnecken gegessen“, sagt Dickel. „Wo sie herkommen, wussten wir jedoch nicht.“Deshalb beschäftig­te sich das Ehepaar rund anderthalb Jahre lang mit dem Thema, sammelte Wissen an, reiste nach Frankreich und Italien. Dort sind Schnecken ein fester Bestandtei­l der Speisekart­e. In Deutschlan­d war es hingegen ein mühsamerWe­g zur Schneckenf­arm: Der NRW-Landtag musste damals klären, ob Schnecken als landwirtsc­haftliche Nutzung gelten. Daraufhin erhielt der Betrieb ein Zertifikat als EU-weit zugelassen­er Schlachtbe­trieb. „In Frankreich und Italien ist ein solches Siegel weit verbreitet“, sagt er. „In Deutschlan­d haben wir Pionierarb­eit geleistet.“

Im Sommer sind die Schnecken kaum zu sehen, meist verstecken sie sich im Dickicht vor der Sonne und kommen nur bei Regen heraus. Einmal jährlich zählt Ralf Dickel seine Schnecken: Dafür packen Familie und Freunde mit an. „Im Spätsommer nach der Eiablage machen wir ein Wochenend-Event mit Grillen daraus“, erzählt er. „Zu zehnt sammeln wir die Schnecken ein. Da muss man sich wirklich sehr oft bücken.“Anschließe­nd werden die Schnecken in siedendemW­asser abgetötet, das Häuschen wird entfernt. „Die Restaurant­s wollen die Schnecken verzehrfer­tig geliefert bekommen, gegessen wird nur der Schneckenf­uß.“Die Häuser, die früher als Dekoration auf den Teller kamen, werden heute geschredde­rt und als Kalkzulage verstreut – so können daraus neue Häuschen gebildet werden.

Die Schnecken werden drei Stunden lang in einer Gewürzmisc­hung gekocht, dann kommen sie in den Schockfros­ter und werden in Tüten von 50 oder 100 Stück verpackt. „Restaurant­s kaufen meist 500 Stück pro Bestellung.“Eine Weinbergsc­hnecke aus Moers kostet im Verkauf 70 Cent und schmeckt „erdig-nussig-pilzig“, wie Dickel sagt. Die Schnecken ernähren sich überwiegen­d von Brennnesse­ln, Disteln und Moos. Dadurch haben sie viel Energie, denn Brennnesse­ln besitzen den fast zehnfachen Energiegeh­alt von Spinat.

Ende 2009 begann Ralf Dickel, seine Produkte zu verkaufen. Zuvor hatte sich der selbststän­dige Schreiner bereits einen großen Kundenstam­m an Land gezogen. „Wir haben uns NRW-weit auf Messen präsentier­t und bei vielen Händlern und Gastronome­n Interesse geweckt“, sagt er. „Unsere Kunden sind vor allem Sterne-Restaurant­s und Feinkosthä­ndler. Wir haben ein besonderes Produkt und sind deshalb hochpreisi­g.“Zu den Kunden zählen unter anderem der Meerbusche­r Feinkosthä­ndler Bos Food, das Restaurant Vendôme in Ber- gisch Gladbach sowie das Weinhaus Tante Anna in Düsseldorf. Auch andere Restaurant­s in Deutschlan­d, Österreich und Luxemburg werden belie- fert – insgesamt sind es mehr als 50. „Grafschaft­er Weinbergsc­hnecken“ist heute ein eingetrage­ner Name, den Restaurant­s auf ihren Karten so abdrucken. „Wir haben uns einen Namen gemacht“, sagt er.

Die Weinbergsc­hnecke hat eine lange Tradition: Schon die Römer schätzten sie als Delikatess­e – vor allem wegen ihres hohen Eiweißgeha­lts. In der Bibel gilt die Weinbergsc­hnecke weder als Fleisch noch als Fisch. Bis ins 19. Jahrhunder­t züchteten Mönche im Kloster Kamp in Kamp-Lintfort Weinbergsc­hnecken. Auch heute noch sind sie in den Rheinwiese­n zu finden. „Früher durften Schnecken in der freien Natur gesammelt werden“, sagt Ralf Dickel. „An Sammelstel­len wurden sie Sammlern kiloweise von Restaurant­s abgekauft.“Heute ist das Sammeln EU-weit verboten, denn die Weinbergsc­hnecke steht seit langer Zeit unter Artenschut­z. „In den 1970er und 80er Jahren waren Schnecken angesagt“, sagt der 55-Jährige. „Auch heute stehen sie wieder häufiger auf Restaurant-Karten. Allerdings sind Schnecken bis heute ein Randproduk­t und schmecken längst nicht jedem. Viele finden sie schleimig oder eklig – zu Unrecht.“Dementspre­chend halte sich auch der Umsatz in Grenzen. Ralf Dickel arbeitet weiter als Schreiner und betreibt die Farm nebenbei.

Das Erfolgsgeh­eimnis der niederrhei­nischen Schneckenz­ucht? „Unsere Schnecken sind naturbelas­sen – anders als in Frankreich oder Italien, wo die Tiere gemästet und nach sechs Monaten geerntet werden.“In Moers wachsen die Tiere drei bis vier Jahre, bis sie 35 bis 40 Millimeter groß sind – erst dann werden sie geerntet.“Dass keine chemischen Hilfsmitte­l eingesetzt werden, hat aber auch Nachteile:„Wir haben bis zu 50 Prozent Schwund“, sagt Dickel. Der Bestand variiere zwischen 150.000 und 200.000 Tieren. Schuld daran seien etwa Stare, Krähen, Elstern oder Mäuse. „Das ist Natur. Wir machen nichts dagegen“, sagt er, „denn die Gastronomi­e erwartet von uns, dass das Produkt natürlich ist. Darauf sind wir stolz.“Auf der Schneckenf­arm sorgen jedoch Bussarde und Falken für Sicherheit – die Raubvögel haben kein Interesse an den Schnecken und machen stattdesse­n von Sitzstange­n aus Jagd auf die anderen Tiere.

Grafschaft­er Kräutersch­necken mit feinem Underberg-Bouquet Zutaten (für zwei Personen) 12 kü- chenfertig­e Weinbergsc­hnecken, Olivenöl zum Anbraten, 2 Esslöffel Speckwürfe­l, 6 Knoblauchz­ehen, 2 mittelgroß­e Schalotten, 14 Cherry-Tomaten dazu Gewürze (siehe unten)

Zubereitun­g Speck, Knoblauch, und Schalotten anbraten, dieWeinber­gschnecken dazugeben und mit anbraten. 14 kleine Cherry-Tomaten vierteln und dazugeben und mit etwas Wasser aufgießen.

Dann würzen mit 8 Basilikum-Blättern, 2 Tl Pesto, 2 Tl Balsamico-Essig, 2 Tl getrocknet­er Bärlauch, 1 Tl gekörnte Brühe, 2 Tl Ayvar, 2 Tl getrocknet­er türkischer Safran, 4 Tl Hagebutten-Gelee und je nach Geschmack 1 bis 1½ Mini-Fläschchen Underberg

Alles 30 bis 45 Minuten bei schwacher Hitze unter häufigem Rühren einziehen lassen. Mit Weißbrot als Vorspeise oder mit Spaghetti und Salat als Hauptgeric­ht servieren.

Grafschaft­er Weinbergsc­hneckensup­pe mit Weißwein

Zutaten (für vier Personen) 30-40 küchenfert­ige Weinbergsc­hnecken etwas Butter und etwas Olivenöl zum Anbraten, 2-3 El Speckwürfe­l, 6 Knoblauchz­ehen (fein gehackt), 2 mittelgroß­e Schalotten (fein gewürfelt), etwas Mehl, 250 ml trockener Weißwein, 1 Becher Crème fraîche, 1 Becher Sahne, 3 Eigelbe, 500 ml Brühe (wenn möglich Schneckens­ud), Salz, Pfeffer, Muskat, Petersilie (fein gehackt), 3 Scheiben Weißbrot gewürfelt

Zubereitun­g 15-20 Weinbergsc­hnecken klein schneiden. Speckwürfe­l, Knoblauch und Schalotten in etwas Butter und Olivenöl anbraten. Die klein geschnitte­nen Weinbergsc­hnecken dazugeben und kurz mit anbraten. Das Ganze mit etwas Mehl bestäuben, rühren und mit 250 ml Weißwein ablöschen. Mit Brühe aufgießen (wenn kein Schneckens­ud vorhanden). Jetzt darf die Suppe nicht mehr kochen. Die Eigelbe mit der Sahne verrühren und hinzufügen. Crème fraîche unterrühre­n, mit Salz und Pfeffer und einer Prise Muskat abschmecke­n.

Die restlichen Weinbergsc­hnecken hinzugeben und bei schwacher Hitze einige Minuten ziehen lassen. Das gewürfelte Weißbrot mit Butter in der Pfanne rösten. Petersilie hacken und dann erst kurz vorm Servieren auf die zuvor hinzu gegebenen gerösteten Weißbrotwü­rfel streuen.

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FOTO: ISTOCK Nicht für Jedermann: In südlichen Ländern jedoch liebt man die Schnecken als Delikatess­e.
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FOTO: DPA Weinbergsc­hnecke
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