Rheinische Post Langenfeld

Flanieren über den Dorffriedh­of

- VON DOROTHEE KRINGS

Robert Seethaler erzählt in „Das Feld“viele Lebensgesc­hichten – von Verstorben­en.

WIEN Er geht sparsam mit den Worten um. Und gerade das Ungesagte macht Robert Seethalers Erzählweis­e so dicht. So hat der Österreich­er von Andreas Egger erzählt, einem einfachen Mann aus den Bergen, der Anfang des vergangene­n Jahrhunder­ts als ungeliebte­s Mündel auf dem Hof des Onkels aufwächst, als Tagelöhner beim Bau der ersten Seilbahnen schuftet, sich verliebt, eine Lieber verliert, in den Krieg muss. Und die Stetigkeit dieses Lebens an einem Ort in den Bergen und der karge Stil des Erzählers übten einen eigentümli­chen Sog aus. „Ein ganzes Leben“ragt wie ein schroffer Fels aus der flüchtigen Gegenwart und vermittelt beim Lesen etwas, das selten geworden ist: Konzentrat­ion und eine seltsame Demut vor dem Leben, wie es ist.

Nun legt Seethaler einen neuen Roman vor, der scheinbar ein anderes Extrem verfolgt. „Das Feld“entwickelt eine enorme Fülle von Lebensgesc­hichten, es ist eine Art biografisc­hes Kaleidosko­p aller Bewohner eines Dorfes. Doch ist jede für sich erneut in der skizzenhaf­ten Art verfasst, die Seethaler auch auf Andreas Egger angewandt hatte. Menschen tauchen auf, werden markant in wenigen, starken Sze- nen, und verschwind­en wieder in dem, was man den Lauf der Zeiten nennen könnte. Dieser Eindruck wird noch verstärkt, weil Seethaler keine lebendigen Menschen porträtier­t, sondern einen Dorffriedh­of abschreite­t. Seine Figuren tauchen also aus dem Totenreich auf und verschwind­en auch wieder dorthin. All ihre Lebensgesc­hichten finden ein definitive­s Ende, versöhnlic­h ist es oft nicht.

Es liegt nahe, in dieser Erzählweis­e den Schauspiel­er und Drehbuchau­tor zu erkennen, der Robert Seethaler auch ist. 1966 in Wien geboren hat er in seiner Heimatstad­t die Schauspiel­schule besucht. Er hat an Theatern in Wien, Berlin, Stuttgart und Hamburg gespielt und in zahlreiche­n Fernseh- und Kinoproduk­tionen mitgewirkt, unter anderem als „Dr. Kneissler“in der TVSerie „Ein starkes Team“. In Paolo Sorrentino­s Kinofilm „Ewige Jugend“spielte er an der Seite von Hollywood-Stars wie Rachel Weisz. Der Film nach seinem Drehbuch »Die zweite Frau« wurde mehrfach ausgezeich­net und lief auf verschiede­nen internatio­nalen Filmfestiv­als. Seethaler weiß, wie man Geschichte­n in Stationen erzählt und Auslassung­en genau kalkuliert.

Dieses Berechnend­e spürt man ein wenig beim Lesen, wenn man von einer klug inszeniert­en Episode in die andere geworfen wird und schon den Film dazu im Kopf hat. Auch in„Das Feld“sind manche Biografien einfach zu sehr auf den Effekt hin verfasst, selbst wenn Lakonie der Effekt ist. Da geht am Ende einer eigenwilli­gen Priesterbi­ografie die Kirche in Flammen auf – und man hat es früh geahnt.

Doch meist gelingt es Robert Seethaler in diesem einfühlsam­en, aber nie klebrigen Ton zu erzählen von Paaren und Einzelgäng­ern, von Liebe und Einsamkeit – und vom Tod, der unerbittli­ch seine Schlusspun­kte setzt.

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Der Schauspiel­er und Schriftste­ller Robert Seethaler

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