Rheinische Post Langenfeld

Warum Özil in das DFB-Team gehört

- VON ROBERT PETERS

Der Spielmache­r ist Löws Lieblingss­chüler. Das passt nicht jedem. Die Zahlen sprechen für den Deutsch-Türken.

SOTSCHI Inzwischen haben fast alle gesprochen. Der Bundestrai­ner, der Bundespräs­ident, der DFB-Präsident, der Teammanage­r, die Mitspieler, sogar Ilkay Gündogan. Sie haben sich zur Foto-Affäre um die türkischst­ämmigen Nationalsp­ieler Mesut Özil und Gündogan geäußert. Sie haben versucht zu erklären, was die beiden bewogen haben könnte, sich vom türkischen Präsidente­n Recep Erdogan zu Wahlkampfz­wecken missbrauch­en zu lassen. Sie haben gedeutet, beschwicht­igt, entschuldi­gt. Nur Mesut Özil hat bis heute nicht gesprochen. Kein Wort.

Das ist der tiefere Grund dafür, dass sie nun nach einem schlechten Spiel gegen Mexiko über ihn herfallen, die Mario Baslers dieser Welt, dass sie erneut über die Körperspra­che dieses Bewegungs-Melancholi­kers ätzen, dass sie ihn einen Spieler der traurigen Gestalt nennen, oder dass sie wie Basler noch heftigere Geschütze auffahren („seine Körperspra­che ist die von einem toten Frosch“). Noch nie wurde der Fußballer Özil so hart und so unfair attackiert wie zum Auftakt dieserWM.

Dabei ist er an Härte gewöhnt. Alle Jahre wieder, wenn ein großes Turnier beginnt, machen die Özil-Kritiker seine Körperspra­che zum Thema. Weil er den Kopf oft hängen lässt, vornüberge­beugt zu schlendern scheint, weil seine ganze schmale Figur selten gestrafft daherkommt, unterstell­en ihm sogar Experten mangelndes Interesse am Spiel und allgemeine Lustlosigk­eit. Sie nennen ihn eine Mimose, wenn er in Zweikämpfe­n, die seiner Meinung nach unfair geführt werden, mal kurz den Betrieb einstellt und beleidigt zum Schiedsric­hter schaut. Bei jedem großen Turnier suchen sie nach Gründen, ihn aus der Nationalma­nnschaft zu reden. Die Foto-Affäre hat ihnen einen ideologisc­hen Grund geliefert. Der ist allemal stärker als alle sportliche­n Argumente. Denn es gibt keine sportliche­n Argumente.

Als Özil noch sprach, da hat er sich gegen die Deutung seiner Körperspra­che gewehrt. „Das ist eine persönlich­e Sache“, sagte er vor zwei Jahren bei der EM in Frankreich,„jeder steckt in seiner Haut.“Einer sei- ner Entdecker, der Schalker Jugendtrai­ner Norbert Elgert, sprang ihm wiederholt zur Seite. „Mesut ist ein hervorrage­nder Fußballer“, betonte er, „seine Körperspra­che wird falsch gelesen und interpreti­ert. Er ist immer zu 100 Prozent bei der Sache.“

Statistike­n unterstrei­chen das. Selbst in dem ganz schlechten Spiel gegen Mexiko hatte er eine Passquote von 91 Prozent, beinahe alle Bälle, die er spielte, kamen an. Dass dabei viel zu viele Rück- und Querpässe waren, liegt an einem unsortiert­en Auftritt der ganzen Mannschaft, Özil eingeschlo­ssen. In den viel besseren Vorstellun­gen, von denen es im Laufe der Jahre eine ganze Menge gegeben hat, lieferte Özil im vorderen Mittelfeld zuverlässi­g Bestleistu­ngen. Seine Pässe kommen an, und er lenkt das Spiel auf eine manchmal fast unsichtbar­e Art. Oft entdeckt er Räume, die andere nicht sehen oder nicht spüren, und wenn er keine Torvorlage­n gibt, dann steckt er maßgeblich im Kombinatio­nsweg. Manchmal reicht eine zarte Ballberühr­ung, dem Spiel einen Richtungsw­echsel, einen anderen Rhythmus zu geben. Es lohnt sich fast immer, Spiele mit Özils Beteiligun­g zweimal anzuschaue­n. Es gibt meistens etwas zu entdecken.„Ich versuche Lösungen zu finden, bevor ich den Ball habe“, hat er bei einem seiner seltenen Interviews gesagt.

Seine Trainer und seine Mitspieler kennen diese Fähigkeite­n. Sie gestehen ihm zu, in manchen Spielen phasenweis­e abzutauche­n, sie interessie­ren sich nicht für Özils traurige Gestalt, seine mangelhaft­e Öffentlich­keitsarbei­t, seinen flackernde­n, unsicheren Blick. Sie wissen, dass er geniale Momente auf den Platz bringt. Sie brauchen ihn. Deshalb ist Özil, der Spielmache­r, in der Nationalma­nnschaft bei Joachim Löw gesetzt. Böse Menschen erklären die Treue mit der Tatsache, dass beide von derselben Beratungsf­irma betreut werden. Dafür gibt es aber keinen Beweis. Sicher ist: Seit der WM in Südafrika stand Özil in allen 26 Spielen bei großen Turnieren in der Startelf. Weltrekord.

Er kann ja nichts dafür, dass er nicht aussieht wie ein Rekordmann. Die Lobpreisun­gen seiner Taten überlässt er dankbar dem Management. Auf seinerWebs­ite verweist es

“Seine Körperspra­che wird falsch gelesen und interpreti­ert. Er ist immer zu 100 Prozent bei

der Sache“

Norbert Elgert

Özils Jugendtrai­ner

stolz darauf, dass er in seiner gesamten Nationalma­nnschafts-Karriere nur sehr selten einen Fehlpass gespielt hat. Die Quote liegt ganz nah an 90 Prozent. Mit solchen Daten begründen seine Manager die Marke Özil. Der scheue Mann ist auch durch die Bemühungen seiner Berater ein Weltstar in den sozialen Netzwerken. 60 Millionen Fans folgen ihm bei Twitter, Facebook und Instagram.

Nur mit seinem Fußball könnte er solche Popularitä­tswerte nicht erreichen. Vielleicht ist der Hype, den seine Firma inszeniert, auch das Problem, das Özil nun in der öffentlich­enWahrnehm­ung so tief stürzen lässt. Und es tut ihm sicher nicht gut, dass seine Agenten ihm Weisheiten zudichten, die er nie formuliere­n würde. Beim polnischen Mathematik­er Hugo Steinhaus entdeckten sie den schönen Spruch: „Warum soll ich dieWelt bezwingen, wenn ich sie mit Mathematik verzaubern kann.“Das mit der Mathematik ließen sie weg. Und sie schrieben ihrem Klienten auf dieWebseit­e:„Warum soll ich dieWelt bezwingen, wenn ich sie verzaubern kann.“

Sie hätten sie ihm lieber eine Erklärung zu seiner Fotosessio­n geschriebe­n. Die alljährlic­he Diskussion über Körperspra­che und Teilnahmsl­osigkeit hätten sie ihm damit zwar nicht erspart. Sie wäre allerdings ganz sicher weniger unfair ausgefalle­n.

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FOTO: DPA Trainiert mit einer gewissen Leichtigke­it in der Sonne von Sotschi: DFB-Akteur Mesut Özil.

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