Rheinische Post Langenfeld

Das Ende der 90er

- VON JONAS-ERIK SCHMIDT

Zu seinen besten Zeiten war Viva das, was heute alle Marken sein wollen: ein Lebensgefü­hl. Nun ist bald alles vorbei.

BERLIN/KÖLN (dpa) Viva begann mit einem Verspreche­n. Es ist ein Dezemberta­g 1993, ein gewisser Mola Adebisi fläzt sich betont lässig auf ein Kissen in einer grotesken Dachboden-Kulisse. Dass er für lange Zeit zu einer der wenigen Konstanten des neu gegründete­n Senders werden wird, weiß er da noch nicht. Vielleicht auch deshalb überlässt Adebisi dieVerkünd­ung desViva-Manifests seiner Kollegin – einer gewissen Heike Makatsch, damals 22 Jahre alt und aus Düsseldorf. Makatsch sagt: „Wir sind mehr als nur ein Fernsehsen­der, denn wir sind euer Sprachrohr und euer Freund.“Und sie verspricht: „Und ab heute bleiben wir für immer zusammen, okay?“

Es gibt nun Gewissheit, dass dieses Verspreche­n gebrochen wurde. Der Musiksende­r Viva, so verkündet es der Träger Viacom, wird zum Jahresende eingestell­t. Schon seit Längerem teilte sich Viva einen Programmpl­atz mit der Sendemarke Comedy Central. Deren Sendezeit soll ab 2019 auf 24 Stunden ausgeweite­t werden.

Es ist das Ende eines Kapitels deutscher Fernsehges­chichte. Viva war am 1. Dezember 1993 angetreten, um dem US-Sender MTV Paroli zu bieten, und damit lange Zeit auch ungemein erfolgreic­h. Große Karrieren begannen dort, etwa die von Stefan Raab, Charlotte Roche, Sarah Kuttner, Oliver Pocher, Matthias Opdenhövel oder eben Heike Makatsch. Nebenbei zieht die Nachricht auch einen Schlussstr­ich unter eine ganze Bilderwelt, in der alles knallig war, in der sich Boygroups die Haarspitze­n blondierte­n und schlabbrig­e Baggy Pants Mode waren. Ein Schlussstr­ich unter ein Lebensgefü­hl. Die 90er sind nun wohl offiziell zu Ende.

Viva wirkte in seinen ersten Jahren noch unfertig – und das war das Geheimnis. Zeitzeugen bezeichnen den damaligen Arbeitsans­atz unisono so: Man habe schlicht machen können, was man wollte. Ein damals blutjunger Stefan Raab sprang mit langen Haaren durch die Sendung„Ma‘ kuck‘n“, Charlotte Roche zeigte in „Fast Forward“Achselhaar. „Viva war ein wunderbare­r medialer Kindergart­en, in dem wir alle das Laufen gelernt haben“, fasste es Matthias Opdenhövel zusammen.

Der Sender aus Köln nahm es mit der globalen Coolness-Marke MTV auf. „Viva hat am Anfang extrem gut funktionie­rt, weil man gesagt hat: Wir rocken die Welt jetzt mal aus Deutschlan­d heraus“, sagt Marcus S. Kleiner, Professor an der SRH Hochschule der populären Künste in Berlin.„Man sagte sich, dass man nicht perfekt sein muss, weil auch kein Jugendlich­er perfekt ist. Man hat einfach mal gemacht.“Ergebnis war, dass sich Viva anfühlte, als rede man mit Freunden über Musik – auch dank des guten Händchens für Gesichter. „Viva fand Moderatore­n, die alle keine Supermodel­s waren, denen man in der Stadt nicht hinterherg­eschaut hätte“, sagt Kleiner, Experte für populäre Medienkult­uren. Aber sie hatten Charisma und waren aus Deutschlan­d.

Irgendwann allerdings setzte die Götterdämm­erung ein, auch weil Musik anders konsumiert werden konnte – im Netz. Einen Sender brauchte man dafür nicht mehr zwangsläuf­ig. Nun ist es vorbei. Das vorherrsch­ende Gefühl vieler alter Viva-Fans fasst Sarah Kuttner auf Twitter zusammen: „Ich hab für vieles zu danken und schüttle über einiges den inzwischen gräulichen Kopf.“

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FOTO: DPA Moderator Mola Adebisi posiert 2003 in Köln mit dem Logo des Musiksende­rs – das war der 10. Geburtstag.

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