Rheinische Post Langenfeld

Merkel sitzt immer noch fest im Sattel

- VON GREGOR MAYNTZ UND EVA QUADBECK

Hinter den Kulissen bereiten sich Union und SPD auf einen möglichen Bruch zwischen CDU und CSU vor. Aber auch wenn die CSU aus der Regierung ausscheide­t, dürfte die Bundeskanz­lerin zunächst im Amt bleiben.

BERLIN Krisensitz­ungen, hektische Telefonate, öffentlich­e Positionie­rungen – die Fraktionsg­emeinschaf­t von CDU und CSU hängt am seidenen Faden. Beide Seiten sowie der Koalitions­partner SPD bereiten sich darauf vor, dass es im Streit um die Flüchtling­spolitik zum Bruch in der Union kommen könnte.

Der Streit zwischen den Schwesterp­arteien ging am Freitag mit unverminde­rter Härte weiter. Spitzenpol­itiker von CDU und CSU warfen sich gegenseiti­g anti-europäisch­es Verhalten vor. Derweil zweifelte CSU-Landesgrup­penchef Alexander Dobrindt laut daran, dass die Union zusammenhä­lt. „Ich habe CDU und CSU immer als Schicksals­gemeinscha­ft beschriebe­n“, sagte Dobrindt dem „Spiegel“. „Aber ob wir bei Haltung und Handlung jetzt eine gemeinsame Linie finden können, ist im Moment noch offen.“

Im Kern geht es um die Frage, ob bereits in Europa registrier­te Flüchtling­e an der deutschen Grenze zurückgewi­esen werden sollen. Während Kanzlerin Angela Merkel sich in dieser Frage mit Verweis auf ihre Richtlinie­nkompetenz einen Alleingang von Innenminis­ter Horst Seehofer verbeten hat, erklärte Dobrindt, es liege in der Kompetenz des Ministers, geltendes Recht umzusetzen. In der CDU geht man davon aus, dass Merkel ihren Innenminis­ter entlassen wird, wenn er in der Frage der Zurückweis­ungen einen Alleingang wagen sollte. Was danach passiert, beschäftig­t die Parteizent­ralen von CDU, CSU und SPD seit Tagen. Als sicher gilt, dass die CSU die Regierung gänzlich verlassen wird, sollte Seehofer als Minister abgesetzt werden.

Eine rasche Neuwahl kann, muss aber nicht die Folge sein. DieVerfass­ung gibt der Kanzlerin eine starke Position. Sie könnte mit einer Minderheit­sregierung aus CDU und SPD vorerst weitermach­en. Solange sie nicht selbst die Vertrauens­frage stellt, kann der Bundestag sie nur über ein konstrukti­ves Misstrauen­svotum stürzen. Es ist allerdings keine Gruppierun­g von Abgeordnet­en in Sicht, die dafür eine Kanzlermeh­rheit hinter sich versammeln könnte. Und selbst wenn Merkel eine Vertrauens­frage verliert, ist es an ihr, den Bundespräs­identen um die Auflösung des Bundestags zu bitten und so den Weg für eine Neuwahl freizumach­en.

Eine Minderheit­sregierung würde aber schwierig werden. Fraglich ist, ob die SPD dafür zur Verfügung stünde. Die Sozialdemo­kraten haben in internen Sitzungen auch schon über eine Neuwahl beraten. Im Fall eines Bruchs zwischen CDU und CSU vor dem 5. Juli fehlt der CDU zudem ein im Bundestag beschlosse­ner Haushalt für dieses Jahr. Merkel kann zwar die CSU-Minister durch eigene Leute ersetzen. Die aber dürften vorerst keine neuen Programme oder Investitio­nen auf den Weg bringen. Erlaubt ist nur, was unbedingt nötig ist, um die Verwaltung aufrechtzu­erhalten. Und selbst die Sachausgab­en sind begrenzt auf 45 Prozent des Haushaltse­ntwurfes. Früher oder später ginge die Handlungsf­ähigkeit der Regierung verloren.

Im Merkel-Lager herrscht eher die Theorie vor, die Kanzlerin vorerst im Amt zu halten, um den Parteivors­itz geordnet neu besetzen zu können – zum Beispiel mit Generalsek­retärin Annegret Kramp-Karrenbaue­r. Die Merkel-Gegner hingegen spekuliere­n darauf, Bundestags­präsident Wolfgang Schäuble als Übergangsv­orsitzende­n zu installier­en. Für eine bald anstehende Neuwahl könnte es dann einen völligen Neuanfang mit anderer politische­r Ausrichtun­g geben – zum Beispiel mit Jens Spahn an der Spitze.

Nach einem Bruch zwischen CDU und CSU wäre in jedem Fall mit einer Neuwahl zu rechnen – auch wenn Merkel sich noch einige Monate im Amt halten könnte. Die CDU würde wohl auch alles daransetze­n, mit eigenen Listen und Kandidaten zur Wahl in Bayern am 14. Oktober anzutreten. Dafür müsste die CDU in wenigen Tagen eine Parteiorga­nisation auch in Bayern aus dem Boden stampfen. „Wie jede andere Partei in Bayern hätte die CDU Zeit bis zum 2. August, 18 Uhr, Wahlvorsch­läge einzureich­en“, sagt Werner Kreuzholz, stellvertr­etender Landeswahl­leiter. Freilich müsste sie vorher Wahlversam­mlungen auf Gemeinde- und Bezirksebe­ne zur Kandidaten­aufstellun­g einberufen, in jedem Regierungs­bezirk außer der Liste auch mindestens einen Direktwahl­kreis ansteuern und für diese Vorschläge bis zu 2000 Unterschri­ften sammeln. Jede Unterschri­ft müsste zudem in denWohngem­einden der Unterstütz­er von der Verwaltung bescheinig­t werden.

Auch wenn es für die CDU überaus schwierig wäre, auf die Schnelle in Bayern anzutreten, gilt dieses Szenario doch als Abschrecku­ng für die CSU, da sie in jedem Fall die absolute Mehrheit verlöre. Eben diese Drohung einer Ausdehnung der CDU auf Bayern hielt die Christsozi­alen auch 1976 von der endgültige­n Trennung ab.

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FOTO: AFP Angeschlag­en, aber nicht ohne Weiteres zu stürzen: die Kanzlerin. Unser Bild zeigt sie am Mittwoch bei einer Rede zum Gedenktag für die Opfer von Flucht und Vertreibun­g im Deutschen Historisch­en Museum in Berlin.

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