Merkel sitzt immer noch fest im Sattel
Hinter den Kulissen bereiten sich Union und SPD auf einen möglichen Bruch zwischen CDU und CSU vor. Aber auch wenn die CSU aus der Regierung ausscheidet, dürfte die Bundeskanzlerin zunächst im Amt bleiben.
BERLIN Krisensitzungen, hektische Telefonate, öffentliche Positionierungen – die Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU hängt am seidenen Faden. Beide Seiten sowie der Koalitionspartner SPD bereiten sich darauf vor, dass es im Streit um die Flüchtlingspolitik zum Bruch in der Union kommen könnte.
Der Streit zwischen den Schwesterparteien ging am Freitag mit unverminderter Härte weiter. Spitzenpolitiker von CDU und CSU warfen sich gegenseitig anti-europäisches Verhalten vor. Derweil zweifelte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt laut daran, dass die Union zusammenhält. „Ich habe CDU und CSU immer als Schicksalsgemeinschaft beschrieben“, sagte Dobrindt dem „Spiegel“. „Aber ob wir bei Haltung und Handlung jetzt eine gemeinsame Linie finden können, ist im Moment noch offen.“
Im Kern geht es um die Frage, ob bereits in Europa registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückgewiesen werden sollen. Während Kanzlerin Angela Merkel sich in dieser Frage mit Verweis auf ihre Richtlinienkompetenz einen Alleingang von Innenminister Horst Seehofer verbeten hat, erklärte Dobrindt, es liege in der Kompetenz des Ministers, geltendes Recht umzusetzen. In der CDU geht man davon aus, dass Merkel ihren Innenminister entlassen wird, wenn er in der Frage der Zurückweisungen einen Alleingang wagen sollte. Was danach passiert, beschäftigt die Parteizentralen von CDU, CSU und SPD seit Tagen. Als sicher gilt, dass die CSU die Regierung gänzlich verlassen wird, sollte Seehofer als Minister abgesetzt werden.
Eine rasche Neuwahl kann, muss aber nicht die Folge sein. DieVerfassung gibt der Kanzlerin eine starke Position. Sie könnte mit einer Minderheitsregierung aus CDU und SPD vorerst weitermachen. Solange sie nicht selbst die Vertrauensfrage stellt, kann der Bundestag sie nur über ein konstruktives Misstrauensvotum stürzen. Es ist allerdings keine Gruppierung von Abgeordneten in Sicht, die dafür eine Kanzlermehrheit hinter sich versammeln könnte. Und selbst wenn Merkel eine Vertrauensfrage verliert, ist es an ihr, den Bundespräsidenten um die Auflösung des Bundestags zu bitten und so den Weg für eine Neuwahl freizumachen.
Eine Minderheitsregierung würde aber schwierig werden. Fraglich ist, ob die SPD dafür zur Verfügung stünde. Die Sozialdemokraten haben in internen Sitzungen auch schon über eine Neuwahl beraten. Im Fall eines Bruchs zwischen CDU und CSU vor dem 5. Juli fehlt der CDU zudem ein im Bundestag beschlossener Haushalt für dieses Jahr. Merkel kann zwar die CSU-Minister durch eigene Leute ersetzen. Die aber dürften vorerst keine neuen Programme oder Investitionen auf den Weg bringen. Erlaubt ist nur, was unbedingt nötig ist, um die Verwaltung aufrechtzuerhalten. Und selbst die Sachausgaben sind begrenzt auf 45 Prozent des Haushaltsentwurfes. Früher oder später ginge die Handlungsfähigkeit der Regierung verloren.
Im Merkel-Lager herrscht eher die Theorie vor, die Kanzlerin vorerst im Amt zu halten, um den Parteivorsitz geordnet neu besetzen zu können – zum Beispiel mit Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die Merkel-Gegner hingegen spekulieren darauf, Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble als Übergangsvorsitzenden zu installieren. Für eine bald anstehende Neuwahl könnte es dann einen völligen Neuanfang mit anderer politischer Ausrichtung geben – zum Beispiel mit Jens Spahn an der Spitze.
Nach einem Bruch zwischen CDU und CSU wäre in jedem Fall mit einer Neuwahl zu rechnen – auch wenn Merkel sich noch einige Monate im Amt halten könnte. Die CDU würde wohl auch alles daransetzen, mit eigenen Listen und Kandidaten zur Wahl in Bayern am 14. Oktober anzutreten. Dafür müsste die CDU in wenigen Tagen eine Parteiorganisation auch in Bayern aus dem Boden stampfen. „Wie jede andere Partei in Bayern hätte die CDU Zeit bis zum 2. August, 18 Uhr, Wahlvorschläge einzureichen“, sagt Werner Kreuzholz, stellvertretender Landeswahlleiter. Freilich müsste sie vorher Wahlversammlungen auf Gemeinde- und Bezirksebene zur Kandidatenaufstellung einberufen, in jedem Regierungsbezirk außer der Liste auch mindestens einen Direktwahlkreis ansteuern und für diese Vorschläge bis zu 2000 Unterschriften sammeln. Jede Unterschrift müsste zudem in denWohngemeinden der Unterstützer von der Verwaltung bescheinigt werden.
Auch wenn es für die CDU überaus schwierig wäre, auf die Schnelle in Bayern anzutreten, gilt dieses Szenario doch als Abschreckung für die CSU, da sie in jedem Fall die absolute Mehrheit verlöre. Eben diese Drohung einer Ausdehnung der CDU auf Bayern hielt die Christsozialen auch 1976 von der endgültigen Trennung ab.